„Minderleistung“ als soziale Kategorie

arm-trotz-arbeitIm Rahmen der staatlich verordneten „Bürgerarbeit“ wird die Kategorie der „Minderleistung“ wirksam. Den Auswirkungen dieser Praxis widmet sich die von der RLS im Rahmen ihrer Projektförderung geförderte Studie „Bürgerarbeit – Teil der großen Umverteilung?“. Wolfgang Richter und Irina Vellay zeigen auf der Basis ihrer empirischen Untersuchung der Bürgerarbeit in der Stadt Dortmund:

Das Feld der Programmbeschäftigung hat sich im Zuge der Untersuchung als hoch umkämpfte strategische Schlüsselauseinandersetzung für die Gestaltung der Arbeitswelt von morgen und der sozialen Verfasstheit der Gesellschaft herauskristallisiert. Die Bruchlinie teilt die Menschen in „Leistungserbringer/innen“ und in „Minderleister/innen“. Damit wird ein weiter Rahmen aufgemacht, um das Problem der „Überflüssigkeit“ gesellschaftlich zu bearbeiten. Die Anstrengung gilt einer Optimierung der Belegschaften als aktivem Arbeitskräftepotenzial, in dem alle „Minderleister“ ausgemerzt sind. Erwerbstätige Leistungserbringer/ innen werden erwerbstätigen und arbeitslosen Minderleister/innen hierarchisch gegenübergestellt.

 

Der unterschiedliche berufliche und soziale Status wird als Leistung oberhalb oder an der Produktivitätsschwelle verhandelt und legitimiert. Dies bringt zunächst Tendenzen der Auflösung und Neuordnung solcher Bereiche wie „Schwerbehinderung“ im Laufe des Berufslebens oder auch der „Behinderung“ von Beginn an mit sich. Der große Prozess beinhaltet die Zusammenführung aller Menschen mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit, mangelnder Qualifikation, älter als 40 Jahre, längerer Erfahrung von Arbeitslosigkeit oder begrenzter Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt in der neuen Großkategorie „Minderleistung“. Das Ziel ist, langfristig keine geschützten Arbeitsverhältnisse oder Schonarbeitsplätze im Kontext tarifierter „Normalarbeit“ mehr anzubieten, sondern alle, die den Leistungsrahmen nicht oder nicht mehr erfüllen können, soweit hierfür Bedarf besteht, zu geringeren Arbeitskosten, d. h. als Minderleister/ innen zu beschäftigen. In einer großen Spannbreite können so Jobs zum Existenzminimum von ALG II bzw. Sozialhilfe bis hin zu mit Lohnkostenzuschüssen bis zu einem unteren Tarifniveau subventionierten Entgelten angeboten werden.

 

Auf diese Weise sollen einerseits systematisch weitere Produktivitätsgewinne bei den Kernbelegschaften erzeugt und andererseits die Restproduktivität der Minderleister/innen im Bereich zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der durchschnittlichen Produktivität abgeschöpft werden. Diese Entwicklung geht einher mit der Auferstehung des „Gehilfen“ oder der Hilfsarbeit als vorrangiges Beschäftigungsfeld für Minderleister/innen. Quelle Studie

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