P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
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„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
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Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
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Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

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Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

***

Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
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* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
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Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

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