Ein Bild der Armutsentwicklung

Gerhard Kemme (CC BY 2.0)
Gerhard Kemme
(CC BY 2.0)

Wer aufmerksam durch die Strassen größerer Städte, bswp. in der BRD, spaziert, wird manchmal überrascht sein, wie viele verschiedene Straßenzeitungen es gibt und wie viele verschiedene Menschen diese verkaufen. Aldi Süd hat nun den Verkäufer*innen der Odachlosenzeitung fiftyfifty den Vertrieb der Zeitung vor ihren Filialen untersagt.

Die Aldi-Zentrale gibt vor, dass sich ihre Kunden durch unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bei ihrem Einkauf gestört fühlten. Dabei wurde beispielsweise bemängelt, dass sie zu nah an den Einkaufswagen stünden. Das ist jedoch logisch, da dieser Standort Schutz vor Regen und Wind, aber auch Sonne bietet. Die Aldi-Kunden sollten sich zudem durch die Ansprache gestört fühlen, ob sie eine Straßenzeitung kaufen möchten. Einige beschwerten sich außerdem absurderweise über das äußere Erscheinungsbild der Verkäufer sowie die sichtbare Armut in unserer Gesellschaft – das führe bei ihnen selbst zu einem schlechten Gewissen. („Strassenzeitungen sind Seismographen, junge welt, 28.5.2015)

Die Verkäufer*innen hatten seit Jahren ihren festen Verkaufsplatz vor den Filialen, sie wurden im Kundenumgang geschult, haben eine Karte, die sie offiziell als qualifiziert ausweist. Sie verlieren, wie im Interview zu lesen ist, nicht nur ihre Einkommensquelle, sondern auch die seit Jahren aufgebauten sozialen Kontakte. Für Menschen, die von Obachlosigkeit betroffen sind, ist beides eine äußerst schwer zu überwindende Hürde: ein kleines Einkommen haben und kontinuierliche soziale Kontakte. So ist der Kurzkontakt zwischen Kund*innen und Verkäufer*innen wesentlich mehr wert als der materielle Euro. Hinzu kommt eine Abbildung der Armutsentwicklung in der BRD, die keine Statistik besser darstellen könnte.

Straßenzeitungen sind Seismographen für Armutsentwicklungen in unserer Gesellschaft. Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine sehr heterogene Gruppe, die das Straßenmagazin verkauft.

Bereits mit der sogenannten Hartz-IV-Reform im Jahr 2005 gab es einen deutlichen Zuwachs an älteren Verkäuferinnen und Verkäufern. Ein anderes Beispiel: Mit der EU-Osterweiterung um Rumänien und Bulgarien wurde das innereuropäische Armutsgefälle deutlich sichtbar, das damals noch geltende Arbeitsverbot für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen hat dieses Gefälle noch verschärft. Das heißt jedoch nicht, dass es »berechtigtere« oder »bessere« Verkäuferinnen und Verkäufer gibt, sondern dass die Sozialpolitik in unserem Land verfehlt ist. (edb.)

Die Konsument*innen-Souveränität hat im gesamten Bild des globalen Produktangebotes, auf deren Qualität und Produktionsbedingungen nicht viel Macht. Im kleinen alltäglichen Einkauf könnte sie aber für einen solidarischen Umgang mit Verkäufer*innen, sei es hinter der Kasse oder am Einkaufswagen stark sein. An Aldi Süd können Emails geschrieben werden, dass die Verkäufer*innen wieder verkaufen sollen dürfen.

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