Gewinnmaximierung oder Ethik

Es hängt zunehmend von der Unternehmenspolitik eines Krankenhauses ab, ob Menschen in medizinischen Notsituationen sinnvoll versorgt werden, um so ihr Überleben zu sichern, oder nicht. Der lesenswerte Artikel „Ende der Schweigepflicht“ lässt 5 Ärzte und Ärztinnen über ihre Arbeitsalltage berichten. So ist die Uhrzeit der Einlieferung entscheidend, denn daran hängt, ob der möglicherweise lebensrettende Apparat noch eingeschaltet ist und fachkundig bedient werden kann. Oder die Behandlungsdauer wird unabhängig vom Wohlbefinden des_der Patient_in festgesetzt. Oder künstliche Gelenke werden entsprechend der gesetzten Norm eingebaut.

Eindrucksvoll wird deutlich, wie Ärzte und Ärztinnen nach wirtschaftlichen statt ethischen Gesichtspunkten arbeiten müssen und damit Menschenleben in Gefahr bringen.

Ein Beispiel: Eine Patientin wird mit Verdacht auf Schlaganfall eingeliefert.

Die einzige Möglichkeit, die Durchblutung wiederherzustellen, also den Schlaganfall ganz oder teilweise rückgängig zu machen, wäre eine Thrombolyse: die Auflösung des Gerinnsels durch ein Medikament. […] Um zu wissen, ob mit der Lyse, wie das Verfahren im Krankenhausjargon genannt wird, noch etwas zu retten ist, brauche ich einen Kernspintomografen. Unsere Klinik besitzt ein solches Gerät. Aber jetzt steht es still: Wir haben nicht genug Personal, um es rund um die Uhr zu betreiben. […] Die Röhre muss brummen und lückenlos gefüllt sein, damit sie sich rentiert. Also wird der Kernspintomograf nur von 8 bis 18 Uhr hochgefahren, denn dann sind die Patienten für eine reibungslose Abfertigung da. Aber nachts, wenn die Maschine für Patienten da sein müsste, steht sie still.

Wäre die Frau sinnvollerweise in das benachbarte Spezialkrankenhaus gebracht worden, hätte das Krankenhaus aber gar kein Geld an ihr verdient.

Und Schlaganfälle sind lukrativ.

Ein halbes Jahr später war die Frau ein Pflegefall:

Während unser Haus effizienter wurde, sind anderswo höhere Kosten entstanden.

Die Frau ist dann gestorben.

Gründe der Einsparungen sind u.a.:

  • Konkurrenzkämpfe mit anderen Kreiskrankenhäusern, um eine Zusammenlegung zu verhindern.
  • Die Gesundheitsreform verändert das Erstattungsprinzip von Tagespauschale für Patient_innen hin zu einem Betrag abhängig von Diagnose und Behandlung. Damit macht sie Kranke zu einem gutem oder weniger guten Geschäft für die Klinik.
  • Und es gibt die Zielleistungsvereinbarungen:

Das sind Bonusverträge, wie sie unser Haus damals leitenden Ärzten anbot. Dabei wird ein Teil des Gehaltes – etwa zehn Prozent – vom Erreichen eines bestimmten Ziels abhängig gemacht. […] Konkret heißt das, dass sie jedes Jahr entweder mehr Patienten brauchen oder mehr Diagnosen stellen müssen, die viele Punkte bringen.

Viele Ärzte und Ärztinnen treffen medizinisch sicher sinnvolle Entscheidungen, dennoch steht in der Bewertung ihrer Arbeit das wirtschaftliche Wohl der Klinik über dem der Patient_innen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich Ärzte und Ärztinnen mit den anderen Beschäftigten in den Krankenhäusern zusammenzuschließen und im Rahmen der ver.di-Kampagne „Der Druck muss raus“ zusammen für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen – zum eigenen Wohle und zum Wohle der Kranken.

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