Privatisierungsurteil Maßregelvollzug: Staat schafft sich ab

  1. Art. 33 Abs. 4 GG gilt auch für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in privatrechtlicher Organisationsform.
  2. Abweichungen vom Grundsatz des Funktionsvorbehalts bedürfen der Rechtfertigung durch einen spezifischen, dem Sinn der Ausnahmemöglichkeit entsprechenden Ausnahmegrund.
  3. Die Übertragung von Aufgaben des Maßregelvollzuges auf formell privatisierte Träger kann mit Art. 33 Abs. 4 GG sowie mit dem Demokratieprinzip und den Grundrechten der Untergebrachten vereinbar sein.

Leitsätze des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Privatisierung der hessischen forensischen Psychiatrie (d.h. Maßregelvollzugs).

Heribert Prantl bezeichnet das ganze in der Süddeutschen Zeitung (19.1.2012, S. 4) immerhin als „befremdliches Urteil“ und bemängelt die Missverständlichkeit dieser höchstrichterlichen Legitimation massiver Grundrechtsbeschneidungen durch Privatunternehmen, die einer betriebswirtschaftlichen Logik unterworfen sind.

Die taz sieht die Effekte der Privatisierung auf die Beschäftigungsverhältnisse:

„So sind Kündigungen leichter möglich, auch können die Chefs besser und die Putz- und Küchenkräfte schlechter als bisher bezahlt werden.“

Sie spielen im Urteil allerdings keine Rolle, denn es geht ja nicht um die Grundrechte von Reinigungskräften.

Die Berliner Zeitung läßt den zuständigen Berliner Senator im Interview (19.1.2012, S. 6) unter dem Titel „Eine Aufgabe des Staates“ hervorheben, dass es in Berlin in dieser Branche noch keine Schritte in Richtung Privatisierung gegeben hat und auch keine geplant sind. Er macht den Kostenvergleich auf mit Brandenburg, wo nicht nur eine private Unternehmensform eingeführt ist (wie in Hessen), sondern das Unternehmen auch schon verkauft ist (in Hessen gehört die privatisierte Psychatrie noch dem Land):

„So gibt Brandenburg pro Fall und Behandlungstag 260 Euro aus, während es in Berlin nur 200 Euro sind.“

So viel zur neoliberalen Propaganda von wegen „privat ist billiger“ – aus dem Munde eines CDU-Senators.

Im Tenor reagieren die Zeitungen allerdings mit Differenzierung: Die harten Bedingungen, die die ausführliche Begründung formuliere, erschwerten eine pauschale Ausweitung dieses privatisierungsfreundlichen Urteils auf andere hoheitliche Bereiche eher. Wenn das mal nicht blind ist für die schiefe Ebene, die das BVerfG hier betreten hat.

 

Hinterlasse eine Antwort