De-Privatisierung in USA

In Deutschland übernehmen US-Investoren städtische Wohnungen im großen Stil – in ihrer Heimat dagegen dreht wegen Mietwuchers der Wind. US-Stadtverwaltungen kaufen ganze Straßenzüge auf. Einige drohen sogar mit Enteignungen.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,457558,00.html

Hamburg – Wenn Jerry Sanders in seinem Büro im elften Stock der öffentlichen Verwaltung von San Diego seine Stadt vorstellen möchte, dann nimmt der Oberbürgermeister gerne den Straßenplan zur Hand. Zoo, Seaworld, 70 Meilen lange Strände im Stadtgebiet und die elegante Einkaufs- und Flaniergegend Gaslamp Quarter – die zweitgrößte Metropole Kaliforniens hat viel zu bieten. Wenn es nach dem Willen der Stadtvorsteher geht, dürfte bald sogar noch eine Attraktion dazukommen: bezahlbare Wohnungen.

San Diego: 1167 Appartements für Stadtbewohner mit niedrigem Einkommen
Die Sonnenscheinstadt San Diego hat zusammen mit privaten Geldgebern 38 Millionen Dollar in einen mächtigen Häuserblock im Stadtteil Barrio Logan gesteckt, einem der ältesten und traditionsreichsten Viertel der City. Und diese Wohnungen will die Gemeinde ausschließlich Stadtbewohnern mit niedrigen Einkommen zur Miete anbieten. „Eines der Hauptziele unserer Stadtentwicklung ist es, mehr bezahlbaren Wohnraum aufzubauen“, sagt Sanders.

Er hat Erfahrung damit. Schon im Mai vergangenen Jahres wurde der Grundstein für ein ähnliches Projekt an San Diegos Logan Avenue gelegt, Ecke 16. Straße. Die Investitionssumme dort: 15 Millionen Dollar. 1167 Apartments sollen errichtet werden, für Stadtbewohner mit Gehältern weit unter dem Durchschnitt der Business-Stadt.

Markteingriff mit Steuergeld
„Barrio Logan ist ein Stadtteil, in dem verzweifelter Bedarf nach günstigen Unterbringungen besteht“, sagt Ben Hueso fast entschuldigend für den städtischen Eingriff in San Diegos Wohnungsmarkt. Hueso ist Bürgermeister des Districts der kalifornischen Großstadt, zu dem Barrio Logan zählt.

Ausgerechnet im Heimatland der Finanzinvestoren dreht der Wind: Während US-Finanzinvestoren wie Fortress oder Lone Star in der Bundesrepublik im großen Stil städtische Wohnungen kaufen, erwerben amerikanische Städte ganze Straßenzüge von privaten Wohnungsbaugesellschaften.

Die sind allerdings weniger von der möglichen Rendite ihres Investments umgetrieben als von der Struktur ihres städtischen Wohnungsmarkts: Speziell günstiger Wohnraum ist inzwischen vielerorts sehr knapp geworden.

Die lange Boomphase in einigen Metropolen der USA hat das Preisniveau für Wohnhäuser und Mietwohnungen landesweit in die Höhe getrieben. Seit 1995 stieg der Preis für US-Wohnhäuser im Schnitt fast um die Hälfte. Und die Mieten gingen nach Angaben des Bureau of Labour Statistics im gleichen Zeitraum um etwa ein Drittel in die Höhe. Je nach Region war es sogar weit mehr: Speziell in New York und in Kalifornien legten die Preise für Wohnimmobilien in dieser Phase viel stärker zu als im Landesdurchschnitt, errechnete unlängst die NordLB.

Notfalls enteignen
Vergleichsweise billige Apartments sind in etlichen Großstädten Amerikas kaum noch zu bekommen. Angesichts dieser Notlage werden auch in der Öffentlichkeit zunehmend Rufe nach dem Staat laut – in den USA ein seltenes Phänomen. In New York beispielsweise sorgt der geplante Verkauf der Manhattan-Viertel Stuyvesant Town und Peter Cooper Village für einen regelrechten Aufschrei.

Der riesige Komplex an New Yorks East-River-Ufer galt bis jetzt als eine der letzten Zufluchtstätten amerikanischer Mittelstandsfamilien, die sich andere Wohnungen in Manhatten nicht mehr leisten können: Feuerwehrleute, Polizisten, Lehrer oder Krankenschwestern zahlen hier 1700 Dollar pro Monat für ein Zweizimmerapartment.

Nun aber verkauft der Besitzer der Wohnanlage, der US-Versicherungsriese Metlife, die Apartments für 5,4 Milliarden Dollar an die Investorenfirma Tishman Speyer. Viele Bewohner fürchten nun, dass sie mittelfristig ihre Wohnungen räumen müssen. Das aber bedeutet für viele gleichzeitig, dass sie Manhattan verlassen müssten.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Mietwohnungen in den kommenden Jahren wahrscheinlich überproportional steigen wird. Denn viele Amerikaner, die bisher in den eigenen vier Wänden gewohnt haben, sind in den vergangenen Jahren immer stärker in Bedrängnis geraten, weil sie ihre Häuser mit Krediten ohne feste Zinsbindung finanzieren. Das war kein Problem, solange die Zinsen gleich blieben oder fielen. Doch seit die US-Notenbank an der Zinsschraube dreht, sieht die Sache anders aus.

In der Kreditklemme
Allein in den vergangenen zwei Jahren haben die Währungshüter Amerikas wichtigsten Zinssatz 17-mal in Folge erhöht, auf nunmehr 5,25 Prozent. Entsprechend viele Grundeigentümer sind in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt in Kreditschwierigkeiten geraten, und das stellt irgendwann die US-Gemeinden vor Probleme. Denn die Kommunen müssen unter Umständen einspringen, sollten die Immobilien der betroffenen Hausbesitzer tatsächlich unter den Hammer kommen: Im Notfall sollen die Städte die Familien mit Wohnraum versorgen.

Ein Vorhaben der kalifornischen Gemeinde Moorpark lässt ahnen, wie dringend in manchen US-Städten mittlerweile günstiger Wohnraum gesucht wird. Mitten in ihrem City-Gebiet, von der Poindexter Avenue im Norden bis zur Los Angeles Avenue im Süden, erstrecken sich bisher Brachen mit heruntergekommenen Bauten. Niemand hat sich für die Immobilien bisher interessiert. Die Besitzer spekulierten vielmehr auf den Weiterverkauf, sollte das Viertel einmal einen Aufschwung nehmen. Jetzt erwägt die Stadt die Eigentümer kurzerhand zu enteignen, die Gebäude zu sanieren – und darin günstige Mietapartments anzubieten.

„Eines ist klar“, sagt Moorpark-Bürgermeister Patrick Hunter: „Enteignung ist ein außergewöhnlich gravierender Eingriff der Stadtführung und sollte auch nur in außergewöhnlichen Fällen eingesetzt werden – als letztes Mittel und nachdem der private Besitzer fair abgefunden worden ist.“

Noch hat der Rat der Stadt nicht entschieden.

„US-GROSSSTÄDTE. Starker Staat soll Miethaie stoppen“ von Karsten Stumm
Spiegel-Online, 04. Januar 2007
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