"Trinkwasser ist keine Privatsache"

Das Wasser dürfe nicht den Konzernen überlassen werden, warnt Boliviens Wasserminister Mamani. Deshalb müsse es aus Handelsabkommen herausgelöst werden. Seine Vorschläge ernten Beifall, das 4. Weltwasserforum folgt ihnen aber nicht.
taz: Herr Mamani, sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen des Weltwasserforums?
Abel Mamani: Es ist sehr gut gelaufen. Vor vier Jahren war das Menschenrecht auf Wasser kaum ein Thema. Jetzt ist das anders. Das ist eine Folge des Drucks von unten, von den sozialen Bewegungen, die hier sehr aktiv waren.
Bolivien hat einen Zusatz zur offiziellen Abschlusserklärung der Minister durchgesetzt. Worum geht es dabei?
Wir möchten, dass Wasser als Menschenrecht festgeschrieben wird, also allen Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser garantiert wird. Außerdem soll Wasser nicht Gegenstand von Freihandelsverträgen und Verhandlungen der Welthandelsorganisation sein – denn dort will man damit nur Geschäfte machen. Schließlich muss das Wasserforum offener werden. Es gibt Organisationen, die viel zur Debatte beitragen könnten, aber bislang außen vor bleiben. Es ist schlicht zu teuer für sie, 600 Dollar pro Teilnehmer zu bezahlen.
Warum haben neben Bolivien nur noch Venezuela, Kuba und Uruguay diese Zusatzerklärung unterzeichnet?
Mündlich haben wir viel Zustimmung erfahren von Nachbarländern und aus der Europäischen Union. Aber in der Stunde der Wahrheit werden Formfragen vorgeschoben. Die offizielle Erklärung hatte man schon im Vorfeld mit viel Aufwand ausgehandelt, die wurde hier nur noch abgesegnet. Wir hoffen, dass die Minister beim kommenden Forum, 2009 in Istanbul, direkt über diese Fragen verhandeln werden.
Aber viele Unternehmer und auch Mexikos Präsident Fox haben sich doch zum Menschenrecht auf Wasser bekannt …
Es gibt da einen Widerspruch. In den großen Reden führen alle das Wort „Menschenrecht“ im Munde, das habe ich in der letzten Woche bestimmt hundertmal gehört.
Warum also taucht das nicht in der Ministererklärung auf?
Anscheinend befürchten manche Regierungen, dass sie dann ihrer Verantwortung nachkommen und die Gemeinschaften dabei unterstützen müssten, an sauberes Wasser zu kommen.
Und warum hat kein Land aus Afrika oder Asien mitgezogen?
Der Druck der Konzerne ist groß. Der Hauptzweck des Forums in der jetzigen Form ist es ja, die Geschäfte der transnationalen Unternehmen zu befördern, durch die sie ja auch finanziert werden. Und die wollen die Privatisierung, unternehmerische Managementmodelle, Wasser soll zur Ware werden.
In Bolivien schlagen Sie ja gerade den entgegengesetzten Weg ein …
Wir haben uns bei der Wasserversorgung für das öffentliche Modell entschieden. Gerade verhandeln wir mit dem französischen Konzern Suez über dessen Rückzug aus La Paz und El Alto. Die Franzosen haben jetzt akzeptiert, diesen Rückzug im gegenseitigen Einverständnis abzuwickeln.
Was ist die Rolle der Weltbank dabei?
1997, bei der Privatisierung, hatte sie ihre Finger im Spiel. Aber jetzt will sie uns keine Steine in den Weg legen. Es findet ein Umdenken statt. Die Weltbank hat uns jetzt erstmals versprochen, uns beim Start dieses neuen, öffentlichen Wasserbetriebs zu unterstützen – ohne wie bisher die Beteiligung privater Unternehmen zur Bedingung zu machen. Das ist ein enormer Fortschritt.
Ist dieses Umdenken auch bei den deutschen Experten festzustellen?
Ja, sie bewegen sich in dieselbe Richtung wie die Weltbank.

Quelle: taz, 24.3.2006

Privatisierung: Fluch oder Segen? Um den Rohstoff Wasser ist ein Meinungsstreit zwischen Entwicklungsorganisationen und Wirtschaft im Gang

Heute haben 1,4 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ist es zulässig, dass private Firmen in die Lücke springen? Oder darf Wasser nur vom Staat angeboten werden, wie es die Kirchen und Entwicklungsorganisationen fordern?
«In den letzten Jahren haben Aktienfonds ein neues, attraktiv erscheinendes Objekt der Begierde entdeckt: Unternehmungen, die ihr Geld mit Wasser verdienen. Auch Fonds, die ökologische und soziale Ansprüche erfüllen wollen, gehen gern auf Aktien aus diesem Bereich aus», schreibt der deutsche Journalist und Buchautor Frank Kürschner-Pelkmann. «Wer in Aktien solcher Unternehmungen investiert, sollte sich vorab überlegen, auf welcher Seite er oder sie im Konfliktfall steht, wenn wieder Menschen gegen die Ergebnisse der Wasserprivatisierung in ihrer Stadt in Afrika oder Lateinamerika, Asien oder Europa protestieren oder diese Privatisierung verhindern wollen», hält er weiter fest.

Kirchen als Kritiker
«Wasser ist Menschenrecht – nicht Handelsware», stellte Samuel Lutz, Synodalratspräsident der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, an einer Veranstaltung von Multiwatch in Bern fest. «Wasser als eine Grundvoraussetzung für alles Leben ist grundsätzlich ein gemeinsames Gut, das nicht zu privatisieren ist», sagte er. Er stützte sich bei seinen Ausführungen auf die Ökumenische Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und als öffentliches Gut, welche von den Kirchen im April 2005 in Freiburg abgegeben wurde. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke sowie die Erklärung von Bern lehnen die private Nutzung von Wasserquellen ab.
Eine differenzierte Haltung nimmt Donald Tillman ein, Analyst bei der SAM Sustainable Asset Management in Zürich. Die SAM-Gruppe wurde 1995 als unabhängige Vermögensverwaltungsgesellschaft für nachhaltige Anlagen gegründet. Sie bietet unter anderem den nachhaltigen SAM-Wasserfonds an. In «SAM Insight» aus dem Jahr 2003 stellte Tillman die These auf: «Die Weltwasserkrise wird durch Grosskonzerne weder gemacht noch verhindert.» Weniger als 7% der Menschen erhielten heute ihr Wasser von privaten Firmen. Das seien nur 400 Millionen von 6 Milliarden Menschen. Die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser soll laut den Millenniumszielen der UNO bis 2015 halbiert werden. Die Industrieländer werden den Entwicklungsländern kaum genügend Mittel zur Verfügung stellen, damit sie dieses Ziel erreichen – das ist Tillmans zweite These.

«Druck durch die Privatisierung fördert die Wettbewerbsdenkweise», lautet seine dritte These.
Wasserversorgungsunternehmen seien traditionell träge Industriezweige. Der Privatisierungsdruck habe sich deshalb insgesamt positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Versorger ausgewirkt.
Tillman ist allerdings kein Befürworter schrankenloser Privatisierungen. Er zeigt sich auch skeptisch gegenüber einer radikalen Liberalisierung im Rahmen des Gats-Abkommens der WTO. Wasserversorgungen seien heute natürliche Monopole. Deshalb wäre es falsch, staatliche Monopole durch private Monopole ohne öffentliche Kontrollmechanismen zu ersetzen. Auf der andern Seite sei die Gefahr, dass Wasser verschwendet werde, bei staatlichen Wasserfirmen tendenziell höher.
«Nur wenn Wasser ein beschränktes Handelsgut mit staatlichen Leitlinien ist, können die Anreizsysteme so gesetzt werden, dass in Zukunft mit Wasser nachhaltiger umgegangen wird», lautet Tillmans Fazit.

WWF-Direktor im Fondsbeirat
Während die meisten Nichtregierungsorganisationen (NGO) Privatisierungen von Wasserquellen und Wasserversorgungen generell ablehnen, sitzt Claude Martin, Direktor des WWF International in Gland, im Beirat des SAM-Wasserfonds.
Es gebe durchaus berechtigte Bedenken gegenüber der Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Allerdings werde in diesem Zusammenhang auch viel Unsinn gepredigt, hielt Martin fest: Die schlimmsten Wasserverluste durch eine schlechte Infrastruktur gebe es in den öffentlichen Wasserversorgungen der Entwicklungsländer. «Und die allerhöchsten Wasserpreise bezahlen bereits heute die Ärmsten, die Wasser zu horrenden Preisen kaufen müssen.»
Er stehe voll hinter den Prinzipien von SAM, betonte Martin. Die Anlagegesellschaft habe sich mit ihrem Wasserfonds zum Ziel gesetzt, mit nachhaltiger und effizienter Wassernutzung die Wasserkrise etwas mildern zu können. Die Frage sei deshalb nicht, ob private Investitionen in Wasseranlagen überhaupt vertretbar seien. Entscheidend sei vielmehr, dass die Investitionen in die Wasserversorgung, Wasserverteilung und Wasserentsorgung ethisch vertretbar und in Bezug auf die Umwelt nachhaltig seien.
Hans Galli
Quelle: Tagblatt, 21.03.2006

Gysi gegen Privatisierung!?

Aus einem Interview mit dem Tagesspiegel (16.03.):
Sind Sie überhaupt bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Im Moment beobachten wir in der Linkspartei einen Prozess hin zu knallharter Opposition.
Die Frage steht nur in Ländern. Dort sind wir bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber nicht um jeden Preis. Ihr Eindruck kommt daher, dass wir in einem Parteibildungsprozess stecken. Da müssen wir auch programmatische Fragen klären: Wenn wir keine neoliberale Partei sind, was sind unsere Alternativen? Da sind wir dann nicht gegen jede Privatisierung, wohl aber gegen die Privatisierung öffentlicher Verantwortung. Wenn ich in Berlin zum Beispiel den Nahverkehr, die Krankenhäuser oder Bildungseinrichtungen privatisiere, wird Politik irrelevant. Dann brauche ich keinen Regierenden Bürgermeister mehr.
Nun wurden in Dresden alle städtischen Wohnungen an einen privaten Investor verkauft.
Finde ich falsch.
Da haben auch PDS-Stadträte zugestimmt.
Die waren davon nicht abzubringen. Bei der Bildung der neuen Linken müssen wir uns aber darauf verständigen, dass wir so etwas nicht wollen. Dresden hat jetzt keinen Einfluss mehr auf Wohnungsfragen. Demokratie muss Sinn machen. Und das tut sie nur, wenn Politiker auch noch was zu entscheiden haben.

Zu wenig Toiletten. Regierungen, Wasserwerke und Privatunternehmen verantwortlich fuer Abwassernotstand

1,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 2,6 Milliarden Menschen zu keiner sanitären Entsorgung. Verantwortlich hierfür sei vor allem das Versagen von staatlichen Institutionen und Unternehmen im Wasser- und Abwasserbereich. Dies ist das Fazit des Weltwasserentwicklungsberichts, der gestern in Mexiko City vorgestellt wurde. Der 600 Seiten umfassende Bericht entstand in Zusammenarbeit von 24 UN-Organisationen. Er vermittelt einen systematischen Einblick in globale Wasserprobleme und Ansätze zu deren Lösung.
Im Vergleich zum ersten Weltwasserbericht, der vor drei Jahren veröffentlicht wurde, fällt auf, dass die Ursachen der Probleme viel konkreter und ohne falsche Rücksicht auf die Regierungen betroffener Länder benannt werden. Dass Wasserprivatisierungen in den letzten Jahren gescheitert sind, wird am Beispiel der bolivianischen Provinzstadt Cochabamba dargestellt, wobei der Name des involvierten Unternehmens – des US-Konzerns Bechtel – allerdings unerwähnt bleibt. Im UN-Bericht wird auch ausgeführt, dass der Umfang der Investitionen des Privatsektors im Wasserbereich nicht den Erwartungen entspricht und in letzter Zeit sogar rückläufig ist. Trotzdem, heißt es im Bericht, „wäre es ein Fehler“, auf den Privatsektor verzichten zu wollen.
Laut Bericht sind „Missmanagement, Korruption, das Fehlen angemessener Institutionen, bürokratische Trägheit und ein Mangel an Investitionen zur Ausbildung von Fachleuten und zum Bau von Infrastruktur“ wesentlich für die Misere der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in vielen Ländern verantwortlich. Diese Kritik trifft sowohl die Verantwortlichen von Wasserbetrieben als auch die für Wasserfragen zuständigen Behörden. In dem Bericht wird ausführlich dargestellt, wie ein verantwortungsbewusstes Handeln („good governance“) aussehen kann. Dazu gehöre maßgeblich eine stärkere Partizipation der Bevölkerung.
Auffällig ist, wie stark sich auch in UN-Institutionen mittlerweile die Überzeugung durchgesetzt hat, dass es ein Menschenrecht auf Wasser gibt. Vor einigen Jahren noch haben sich vor allem Aktionsgruppen und soziale Bewegungen für dieses Menschenrecht eingesetzt. Dabei stießen sie damals auf zum Teil massiven Widerstand der Befürworter einer Privatisierung der Wasserversorgung, wie Weltbank und Regionale Entwicklungsbanken. Im neuen UN-Bericht steht nun am Anfang der Zentralen Empfehlungen: „Wir müssen anerkennen, dass der Zugang zu sauberem Wasser ein fundamentales Recht ist.“ Es bestehe eine gemeinsame Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und einer sanitären Entsorgung erhalten.
Regierungschefs aus aller Welt hatten im Jahre 2000 in New York eine Liste von Millenniumszielen verabschiedet, die bis 2015 erreicht werden sollen. Dazu zählt die Halbierung der Zahl der Armen, aber auch der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Bei der Formulierung der Ziele blieb der sanitäre Bereich unberücksichtigt. Erst zwei Jahre später wurde bei einer Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg das Ziel hinzugefügt, die Zahl der Menschen mit Zugang zu einer sanitären Entsorgung zu verdoppeln.
Im Weltwasserentwicklungsbericht wird im Detail dargestellt, dass das Millenniumsziel im Trinkwasserbereich zwar global erreicht wird, nicht aber in ohnehin benachteiligten Regionen wie im südlichen Afrika. Das Ziel, die Zahl der Menschen ohne häusliche Abwasserentsorgung zu halbieren, wird hingegen weltweit und in vielen Ländern verfehlt. Aus dem Abschnitt über Äthiopien geht hervor, dass dort nur zehn Prozent der Bevölkerung über eine grundlegende sanitäre Entsorgung verfügen. Dieser Missstand trägt entscheidend dazu bei, dass Durchfallerkrankungen die häufigste Todesursache von Kindern sind.
Notwendig wäre ein verstärkter Einsatz von Entwicklungsgeldern für Wasser- und Abwasserprojekte. Doch das Volumen dieser Mittel stagniert bei drei Milliarden Dollar im Jahr.
Der UN-Bericht soll beim Weltwasserforum in Mexiko City, der kommende Woche beginnt, diskutiert werden – Gelegenheit auch für die deutsche Regierung, sich zu einem entschiedeneren Engagement zur Verwirklichung der Millenniumsziele in diesem Bereich durchzuringen.

www.unesco.org/water/wwap

Quelle: taz, 10.3.2006

Weltwasserforum: Massenproteste und Polizeigewalt

In Mexiko-Stadt findet zur Zeit das Weltwasserforum statt. Mehr als 11.000 Politiker, Wirtschafts- und Konzernvertreter (besonders aus Europa, wie der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft), aber auch eine Hndvoll Vertreter von NGO’s und Hilfsorganisationen nehmen daran teil. Aus Kritik an diesem offiziellen Forum, welches in erster Linie die Interessen der Wirtschaft verfolgt, die die Privatisierung der Wasserversorgung weiter vorantreiben, findet zeitgleich ein alternatives Weltwasserforums, sowie Massenproteste statt. >>> http://de.indymedia.org/2006/03/141544.shtml
Siehe auch http://de.indymedia.org/2006/03/141634.shtml

Jenseits der roten Linie. In Dresden haben Linkspartei-Politiker fuer die Privatisierung von oeffentlichem Wohneigentum gestimmt. Aus Finanznot.

Oskar Lafontaine will sie deshalb aus der Partei werfen. Jetzt haben sie ihn in einem geharnischten offenen Brief geantwortet

Es ist ein Konflikt, in dem es um viel geht – das Selbstverständnis der Linkspartei zwischen Realpolitik und Opposition. In Dresden haben neun Linkspartei-Stadträte kürzlich dem Verkauf der kommunalen Wohungsbaugesellschaft Woba an einen US-Investor zugestimmt. Dresden, zuvor hoch verschuldet, ist nach dem Verkauf schuldenfrei – allerdings auch frei von kommunalem Wohnungseigentum.
Oskar Lafontaine, Chef der Bundestagsfraktion der Linkspartei, hatte die Dresdner neun aufgefordert, die Partei zu verlassen. Die Partei dürfe bei der Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge nicht mitmachen. Dies sei für Linke die rote Linie.
Nun wehren sich die Dresdner Christine Ostrowski und Ronald Weckesser mit einem geharnischten offenen Brief. Sie votieren für „linke Realpolitik und gegen ideologische Symbolpolitik“. Den US-Investor habe man auf „langjährigen Kündigungsschutz und Mietpreisbegrenzungen“ festgelegt. In Dresden gebe es „erheblichen Wohnungsleerstand“, was die Privatisierung unproblematisch mache. Außerdem sei die „Konsolidierung der öffentlichen Finanzen keine neoliberale Spinnerei, sondern sozialpolitischer Imperativ“. Ganztagsschulen müssten auch bezahlt werden.
Der Brief ist ein Frontalangriff auf Lafontaines keynesianistische Grundthese, dass mehr Staat und mehr öffentliche Investitionen der Königsweg seien. Lafontaine, schreiben Ostrowski und Weckesser, „erweckt den Eindruck, dass öffentliches Eigentum unverzichtbar für die öffentliche Daseinsvorsorge ist. Wenn aber Wohnen so existenziell ist, dass es nicht privatisiert werden darf, bleibt zu fragen, ob die Verstaatlichung von Bäckereien auf die linke Agenda gehört, ist doch das tägliche Brot mindestens so unentbehrlich.“
Der Woba-Verkauf war nicht nur in der Linkspartei scharf angegriffen worden. Auch Mietervereine bezweifeln, dass sich der US-Investor langfristig an die Abmachungen hält.
Gegen die neun sind inzwischen Ausschlussanträge eingereicht worden. Der Dresdner Bundestagsabgeordnete Michael Leutert sagte zur taz, sie hätten gegen den Willen der Partei den Verkauf betrieben, ohne über Alternativen wie Teilverkauf oder die Bildung von Mietergenossenschaften nachzudenken. Er ist prinzipiell gegen Ausschlüsse: „Gesinnungspolizei hatten wir früher.“ Wahrscheinlicher als Ausschlüsse scheint eine Spaltung der Linksfraktion im Stadtrat, weil sich die Gegner des Verkaufs überfahren fühlen.
Der Linkspartei-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Peter Porsch, lobte den Brief als Versuch, auf die „argumentative Ebene“ zurückzukehren. Wie viel kommunales Eigentum nötig sei, sagte er der taz, „ist kein Problem der PDS, sondern der Gesellschaft“. Mit „dogmatischen roten Linien“ löse man es nicht.
Die Dresdner Bundestagsabgeordnete Katja Kipping meinte indes zur taz, dass das Ja zum Woba-Verkauf „zu einem Dammbruch“ führe. Der Widerstand gegen Privatisierung von Wohnungen sei schwieriger geworden – weil doch sogar Linke in Dresden dafür waren.
Quelle: taz, 18.3.2006

Dresdner PDS legt sich mit Lafontaine an

Berlin – Der Verkauf aller fast 50 000 kommunalen Wohnungen in Dresden an einen privaten Investor hat zu einem äußerst heftigen Streit in der Linkspartei/PDS geführt. Mehrere Dresdner PDS- Stadträte, die dem Verkauf zugestimmt hatten, warfen Oskar Lafontaine, dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, vor, „ideologische Symbolpolitik“ statt „linker Realpolitik“ zu betreiben. Sie warfen Lafontaine vor, die Dresdner Entscheidung „zum Präzedenzfall vermeintlicher Unterwerfung linker Politik unter den Neoliberalismus“ gemacht zu haben.
Lafontaine hatte den Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft Woba als falsch kritisiert. „Weder die Wähler noch die Partei haben die Abgeordneten für den Verkauf von kommunalen Wohnungen in die Parlamente gewählt“, sagte er – und legte ihnen indirekt den Parteiaustritt nahe: „Wer das will, ist in anderen Parteien besser aufgehoben.“
Unterzeichner des an Lafontaine gerichteten offenen Briefes sind Christine Ostrowski und Roland Weckesser, Exponenten des realpolitischen Flügels der Partei in Sachsen. Sie warfen dem Chef der Bundestagsfraktion vor, die „Schlachten von gestern mit Mitteln von vorgestern zu schlagen“. Es sei „Pseudo-Logik“, dass die Bewirtschaftung eines Wohnungsbestandes in Folge einer Privatisierung automatisch unsozialer sein müsse. Lafontaines Kritik habe mit Politik „nichts zu tun, es ist eine Form politischer Religiosität“. Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sei „keine neoliberale Spinnerei, sondern sozialpolitischer Imperativ“. m.m.

Quelle: Tagesspiegel, 18.03.2006

Modell Rostock

Seit Anfang der Woche geht unter den rund 1000 Beschäftigten des Lübecker Hafens die Angst um: Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) hat die Privatisierung innerhalb von knapp zwei Jahren angekündigt.
Soll mit dem Verkauf der Lübecker Hafengesellschaft (LHG) das Tafelsilber der Hansestadt verscherbelt werden? Bürgermeister Bernd Saxe weist diese Vermutung zurück und betont, es gehe nur darum, einen strategischen Partner zu finden. Von einem klassischen »Ausverkauf« könne nicht die Rede sein. Und doch: Saxe selbst wollte nicht ausschließen, dass bis zu 90 Prozent der LHG, an der die Stadt jetzt 99,98 Prozent hält, in andere Hände gehen. Dazu wolle man sich eines EU-weiten Bieterverfahrens bedienen, kündigte er an.
Gerade hier ist die Gewerkschaft ver.di skeptisch. Man hat das »Heuschrecken«-Beispiel des Rostocker Hafens vor Augen, der vor Jahren mit Geldern ausländischer Investoren herunter gewirtschaft wurde. »Es gab eine große Entlassungswelle, viele kleine Gesellschaften wurden gegründet und es gab viele Fälle von Tarifflucht«, weiß auch Alfred Skritulnieks, Betriebsratsvorsitzender der LHG.
Auch die Lübecker Regionalgruppe des globalisierungskritischen Netzwerks Attac ist skeptisch. Sprecher Andreas Beldowski warnt: »Aus den Erfahrungen der letzten Jahre ist zu erwarten, dass die Stadt ihre Politik den Bürgern mit völlig überzogenen Erwartungen schmackhaft machen will. Die Ernüchterung wird sich wie bei anderen Projekten – etwa die Privatisierung des öffentlichen Personennahverkehrs und der Stadtwerke – mit Garantie einstellen.«
Die Grünen der Hansestadt lehnen die Pläne des Bürgermeisters nicht grundsätzlich ab, wohl aber eine 90-prozentige Veräußerung. »Über eine Minderheitsbeteiligung würden wir mit uns reden lassen«, betont Susanne Hilbrecht, Grünen- Fraktionsvorsitzende der Bürgerschaft. SPD-Fraktionschef Peter Reinhardt verspricht indes: »Wir werden darauf achten, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben und die tariflichen Vereinbarungen langfristig bestehen bleiben.« Als Aufsichtsratsmitglied bei der LHG war er erbost, dass sein Parteigenossen Saxe Namen möglicher Interessenten öffentlich genannt hat, die nicht einmal im Aufsichtsrat erörtert wurden.
Während von der Bahn AG auf Nachfrage »kein Kommentar« zu hören ist, räumt die Hamburger Hafen und Logistik AG durchaus ein, dass eine Beteiligung in Lübeck eine Option sei – man hätte dann Zugang zur Ostsee. Ein möglicher Interessent soll auch die in Lübeck ansässige Possehl-Gruppe sein, ein Konsortium von 50 mittelständischen Firmen. Auch über skandinavische Finanziers wird spekuliert. Am 30. März wird im nichtöffentlichen Teil der Bürgerschaftssitzung hierüber debattiert.
Am Lübecker Hafen hängen infrastrukturell in der Region weitere 5000 Arbeitsplätze. Er ist europaweit die Nummer 2 für Papier- und Zellulose-Umschlag nach Antwerpen. Zuletzt hat die LHG Jahr für Jahr schwarze Zahlen geschrieben. Doch bei 71 Millionen Euro Verbindlichkeiten und einem errechneten Bedarf von 110 Millionen Euro bis 2015 für eine Flächenerweiterung und zusätzliche Terminals ist die Kapitaldecke weggebrochen, da die Stadt keine Bürgschaften mehr für Investitionen übernehmen darf. Die Europäische Union untersagt dies.
Unabhängig vom Verkauf übt die LHG-Spitze derzeit Druck auf die Belegschaft aus. Man will die wöchentliche Arbeitszeit von 35 auf 39 Stunden erweitern, »um in der Konkurrenz zu Rostock bestehen zu können«, so der Vorsitzende der LHG-Geschäftsführung Manfred Evers.
Von Dieter Hanisch
Quelle: Neues Deutschland, 20.03.06