Bethanien: PDS holt sich Tips bei der Polizei fuer die Raeumung

Die Polizei sieht nach vier Monaten Besetzung eines Seitenflügel des Bethanien und zwei Tage nach Ablauf der Duldung durch das Bezirksamt Berlin-Kreuzberg „keine Gefahr im Verzug“. Deshalb gebe es keine juristische Handhabe für eine sofortige Räumung. Belämmert sieht auch die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei.PDS) ein, dass es doch nicht mit der von ihr angekündigten Räumung klappt. Jetzt bettelt sie bei der Polizei um „Tips“ für rechtliche Winkelzüge, mit denen sie die Immobilie doch noch geräumt kriegt.
Ihr Ziel ist es, zu verhindern, dass im linken Szene-Bezirk ein Zentrum für politische Initiativen entsteht, die auch mal von links kritisch mit der PDS.Linkspartei umgehen könnten. Dafür will sie den Konflikt um das Soziale Zentrum im Bethanien deckeln, indem sie die Privatisierung der Immobilie vorantreibt. Derzeit sieht es so aus, als ob sie den Ärger loswerden will, indem sie das Bethanien den Privatisierungs-Bürokraten vom Liegenschaftsfonds vermacht, weil es gar keine interessierten Investoren gibt.
Jenseits des Konflikts um das Bethanien ist diese Affäre politisch interessant, weil sie zeigt, dass nicht mal im kommunalen Bereich die PDS.Linkspartei als Unterstützerin für selbstorganisierte soziale bzw. linke Initiativen taugt. Im Gegenteil: Alle schönen Worte enttarnen sich als Heuchelei. Hoffnungen, die z.B. in offenen Briefen vor der Bundestagswahl geäussert wurden, werden hier beim ersten Praxistest derbe enttäuscht. Statt die in einem Bürgerbegehren gegen die Privatisierung engagierten BürgerInnen zu unterstützen, gibt sich die PDS-Bezirksbürgermeisterin alle Mühe, noch mehr Fakten gegen ein selbstorganisiertes soziales Zentrum im Bethanien zu schaffen, indem sie Privatisierung sogar noch aktiv vorantreibt.
vgl. auch Morgenpost vom 3.11.05:
Polizei hat Bedenken gegen Räumung des Hauses Bethanien
Bezirk prüft Rechtsgrundlage – Besetzer demonstrieren
Von Sabine Gundlach
Der Beschluß des Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksamtes, den besetzten Seitenflügel im Künstlerhaus Bethanien „zeitnah zu räumen“, scheint entgegen bisherigen Äußerungen offenbar nicht sofort realisierbar.
Wie ein Sprecher der Berliner Polizei gestern auf Anfrage mitteilte, sei nach der bislang viermonatigen Duldung der Belagerung des Ortes derzeit keine Situation von Gefahr im Verzug erkennbar. Der Bezirk müsse als Eigentümer des Gebäudes jetzt erst einmal juristisch stichhaltige Gründe für eine Räumung darlegen. Vorher könne die Polizei nicht eingreifen. Wie Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei.PDS) gestern bestätigte, „ist die Räumung offensichtlich doch nicht so einfach, wie wir zunächst dachten“. Reinauer, die bislang immer betont hatte, daß nach Ablauf der Duldung am 31. Oktober aufgrund dann bestehenden Hausfriedensbruchs eine sofortige Räumung möglich sei, mußte gestern einräumen, „daß bisherige Bewertungen über die Voraussetzung für die Räumung offenbar juristisch nicht haltbar sind“. Auf die Frage, warum man dies vorher nicht überprüft habe, antwortete die Bürgermeisterin nur, „es gab unterschiedliche Bewertungen“.
Frau Reinauer betonte jedoch, „daß wir vorbehaltlich der juristischen Klärung bei unserer Entscheidung bleiben. Wir werden den rechtswidrigen Zustand beenden und das Bethanien zeitnah räumen.“ Wann genau die Räumung terminiert sei, könne sie derzeit noch nicht sagen. Doch die Polizei habe dem Bezirk jetzt Tips gegeben „was wir für eine rechtmäßige Räumung machen müssen“. Details wollte Frau Reinauer nicht nennen.
Unterdessen protestierten die Besetzer und die Initiative des Bürgerbegehrens Zukunft Bethanien (IZB) gestern erneut gegen die geplante Räumung. „Frau Reinauer hat kein Interesse an einer Lösung und übergibt die Verantwortung jetzt einfach an die Polizei“, sagte eine Sprecherin der Besetzer und warf der Bürgermeisterin „Lippenbekenntnisse“ vor. Reinauer habe den ehemaligen Bewohnern des alternativen Wohnprojektes an der Yorckstraße immer Unterstützung zugesagt. Es sei ein trauriges Novum, daß eine linke Partei wie die Linkspartei.PDS ein linkes Projekt räume. „Ohne die Yorck-Gruppe im Bethanien hätte es die Initiative für das Bürgerbegehren nicht gegeben“, sagte Stephanie Tkocz.
Auch Christian Ströbele, gewählter Bundestagsabgeordneter der Grünen im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg, äußerte gestern sein Unverständnis darüber „daß das Bezirksamt jetzt so die Daumenschraube anzieht“. Er sehe keinen Grund für eine Räumung, zumal man doch derzeit mit dem Bürgerbegehren auf einem guten Weg für das Bethanien sei. „Welchen Sinn macht es, die Leute jetzt in der Kälte auf die Straße zu setzen und dann über einen leerstehenden beheizten Seitenflügel im Bethanien zu verfügen“, sagte Ströbele. Der Bundestagsabgeordnete ist heute abend Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, zu der die Initiative Zukunft Bethanien um 19 Uhr im Hauptgebäude des Künstlerhauses am Mariannenplatz einlädt.
Gestern abend haben rund 350 Besetzer und Vertreter des Bürgerbegehrens sowie Unterstützer am Kottbusser Tor in Kreuzberg demonstriert – unter dem Motto: „Wir bleiben“. Die Kundgebung sei friedlich verlaufen, sagt Polizeisprecher Carsten Müller.

Argentinien: Kollektiver Zornesausbruch wg. Privatisierungsfolgen

Am vergangenen Montag brach im Osten von Buenos Aires für 5 Stunden der Notstand aus. Tausende Pendler rasteten aus, nachdem der Zug mal wieder Verspätung hatte. Der Zorn richtete sich zunächst gegen die Einrichtungen des privaten Bahnbetreibers TBA, der die vormals staatliche Bahngesellschaft Sarmiento übernommen hatte. Die Privatisierung der Bahnen unter dem neoliberalen Präsidenten Carlos Menem in den 1990er Jahren machte nichts besser, im Gegenteil: Die neuen Eigentümer kassierten nur ab, investierten aber kaum etwas. Mehr bei indymedia: „Pendler verlieren die Geduld“.