Die Anforderungen, die derzeit mit der Versorgung der Flüchtlinge einhergehen, haben ein Fass zum Überlaufen gebracht, das schon seit vielen Jahren randvoll war. Und zwar völlig unabhängig von den Flüchtlingen. Berlin zum Beispiel hat seit der Wiedervereinigung das Personal in der Verwaltung in erheblichem Umfang reduziert (ausführlich zu den Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die Flüchtlingsversorgung in Berlin schreibt Schröder, 2015). Von 2001 bis 2011 wurden über 30.000 Vollzeitstellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Dabei wächst die Berliner Bevölkerung inzwischen wieder um etwa 50.000 EinwohnerInnen pro Jahr – Geflüchtete nicht mitgezählt. Im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), das mit der Flüchtlingsversorgung derzeit völlig überfordert ist, wurde der Personalbereich bis 2008 bis zu 20 Prozent gekürzt. Bereits lange vor Beginn der aktuellen Krise haben die MitarbeiterInnen im LaGeSo daher Alarm geschlagen, dass sie ihre Arbeit nicht mehr richtig machen können.
Der Bestand an öffentlichen Wohnungen wurde in Berlin seit der Wende durch Privatisierung um über 50 Prozent reduziert (Holm, 2007). Dies ist ein wichtiger Grund, weswegen das Land derzeit solche Probleme hat, überhaupt Wohnraum zu finden – egal ob gut oder schlecht, teuer oder billig. Und selbst in der Schulpolitik wurde der Rotstift so rigoros angesetzt, dass allein im Bezirk Pankow nun 25 Schulgebäude fehlen, darunter 16 Grundschulen, wie die Berliner Zeitung kürzlich berichtete.[5] Sicher ist die Konstellation in anderen Ländern und Städten nicht identisch mit der in Berlin. Doch sollte die aktuelle Debatte vor diesem Hintergrund stärker als Problem von Austerität und öffentlicher Daseinsvorsorge diskutiert werden. Als ‚Flüchtlingsdebatte’ geht sie jedenfalls am Kern des Problems klar vorbei.
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Die Kommunen sollten sich nicht vor den falschen Karren spannen lassen!
Die Frage der Versorgung und Anerkennung von Flüchtlingen kann mittelfristig kaum angegangen werden ohne eine Richtungsänderung auf bundesdeutscher und auch europäischer Ebene. Doch die Frage, ob man Geflüchtete nun lieber in Turnhallen, Hangars oder Containern unterbringt, ist von Anfang an falsch gestellt. Und hier kann gerade auch lokale Politik einen Unterschied ums Ganze machen. Eindrucksvoll zeigen dies die unzähligen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Netzwerke, die in mühseliger Kleinarbeit den solidarischen Umgang mit Geflüchteten vor Ort organisieren (vgl. Fritsche et al. in LuXemburg 1/2016). Auch PolitikerInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen versuchen, sich nicht vor den Karren einer Politik spannen zu lassen, die nichts zur Lösung ihrer Probleme beiträgt oder diese gar noch weiter verschärft. In Zürich etwa formiert sich seit mehreren Monaten ein Bündnis aus lokalen Initiativen, städtischen Kulturinstitutionen, politischen MandatsträgerInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen, um die Stadt zu einem ‚sicheren Hafen’ für die etwa 10.000 Sans Papiers zu machen, die in Zürich leben.[10] Damit stellt sich das Bündnis explizit gegen die ultranationalistische Politik der Schweizer Volkspartei, die mit einer Mehrheit im Nationalrat agiert. Auch in den USA unterlaufen linksregierte Städten und Kommunen mit eigenen Verwaltungsrichtlinien die Abschiebepolitik der Regierung in Washington und setzen stattdessen auf ein lokales Inklusionsmodell (Lebuhn, 2014). Dieses orientiert sich gerade nicht am formalen Aufenthaltsstatus der Menschen, sondern an den Notwendigkeiten und Bedürfnissen des Zusammenlebens vor Ort – sei es hinsichtlich des Zugangs zu Schulen, Gesundheitsversorgung oder auch Wohnraum.
Vor allem aber: Wenn man die aktuelle Krise aus dieser Perspektive betrachtet, dann rücken Aspekte von Austerität und neoliberaler Umverteilung in den Blick, die sonst unter den Tisch fallen. Das ist pragmatisch und zugleich visionär (vgl. Kahrs in LuXemburg 1/2016). Denn dann diskutieren wir über ein gemeinsames politisches Projekt, das sich der Trennung zwischen ‚uns’ und ‚den Flüchtlingen’ verweigert!
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