P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
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„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
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Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
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Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

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Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

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Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
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* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
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Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

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Privatisierungsfolgen in Neuseeland

Helen Clark, Premierministerin von Neuseeland, im Interview mit der NZZ:
«Wir brauchen einen starken Staat»
http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/519837ca-e9c2-4c20-918c-31ac11ad8045.aspx
kurzer Ausschnitt zum Thema Privatisierung und ihre Folgen:
Frage: Neuseeland hat damals im großen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?
Helen Clark: Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte.
(gefunden bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=1983 )

Das vollstaendige Interview der NZZ:

Privatisierung – NZZ Folio 09/06
«Wir brauchen einen starken Staat»

Seit die Sozialdemokratin Helen Clark Neuseeland regiert, hat sie die Privatisierung behutsam zurückgedreht. Und das Land kann erstaunlich gute Wirtschaftsdaten vorweisen. Trotzdem oder deswegen? Von Anja Jardine

Frau Premierministerin, Neuseelands Wirtschaft floriert, es gibt kaum Arbeitslose. Verdanken Sie das den «Rogernomics» – den radikalen Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre, benannt nach dem damaligen Finanzminister Roger Douglas?

Das glaube ich nicht. Die Deregulierung erfolgte vor zwanzig Jahren, danach sind wir jahrelang furchtbar gestrauchelt. Und ich bin überzeugt, dass die Rogernomics deshalb nicht funktioniert haben, weil es für den Staat keine angemessene Rolle gab, denn es bedarf in der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts unbedingt einer Führungsrolle des Staates. Seit ich im Amt bin, versuche ich, die für Neuseeland herauszuarbeiten.

Worin besteht die Rolle?

Wir sind ein kleines Land, wir müssen als «Neuseeland Incorporated» arbeiten, wir müssen unsere Politik eng auf unsere Wirtschaft ausrichten – ihre Potentiale identifizieren, gezielt forschen und entwickeln, sicherstellen, dass genug Risikokapital zur Verfügung steht. Die Privatwirtschaft reisst sich nicht drum, Ideen zu finanzieren, die sich noch nicht bewiesen haben. Sowenig wie sie freiwillig Grundversorgung gewährleistet oder in Infrastruktur investiert. Das hat uns die Erfahrung gelehrt.

Neuseeland hat damals im grossen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?

Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte. Es mangelt in diesem Bereich noch heute an Wettbewerb und Angebot. Wir haben grosse Mühe, das zu korrigieren. Zum Beispiel versuchen wir gerade, im Bereich der Breitbandtechnologien das Gefüge aufzubrechen.

Warum gab es beim Verkauf keine Auflagen, die Grundversorgung und Wettbewerb sicherstellten?

Wir waren mit die ersten weltweit, die deregulierten. Das Pendel schwang von einer Art westlichem Albanien, das wir waren, zu einem Zustand ohne jede Regeln. Die privaten Energiekonzerne zum Beispiel haben über Jahre hinweg nur den Profit abgezogen und weder in Instandhaltung noch Erneuerung des Netzes investiert.

Was unter anderem dazu führte, dass 1998 für 66 Tage weite Teile Aucklands ohne Strom waren.

Ja. Ähnlich erfolglos war der Verkauf der Banken: der Postbank und auch der Bank of New Zealand. Es gibt heute keine neuseeländische Bank von Rang mehr, die meisten sind in australischer Hand. Und weil diese Grossbanken kein Interesse am kleinen Mann haben, konnte man in manchen Städten jahrelang kein Konto mehr eröffnen. Die Regierung musste auch da einspringen und hat in den Postfilialen eine Bank eingerichtet.

Hätte Neuseeland 1984 die Möglichkeit gehabt, die Reformen behutsamer durchzuführen?

Fest steht: Wir konnten nicht weitermachen wie bisher. Aber es hätte besser geplant sein müssen, von entsprechenden Massnahmen begleitet. So gibt es in Neuseeland zum Beispiel Potential für Nischenproduktion, doch dazu bedarf es hochqualifizierter Arbeiter und Innovation. Das hätte man parallel initiieren müssen. Vor allem hätten die Menschen wissen müssen, was auf sie zukommt. Die haben die Reformen nie gewählt. Auf diese Weise verliert man die demokratische Legitimation. Wir mussten das Wahlrecht ändern – vom britischen Modell zum deutschen Verhältniswahlrecht, das kleinen Parteien den Zugang erleichtert. Die Menschen haben uns nicht mehr vertraut.

Wie waren Sie persönlich in die Reformen involviert?

Ich war im Parlament, und ich war zweifelsfrei nicht einverstanden mit dem, was da geschah. Und als ich 1987 dann Ministerin für Wohnungsbau und Gesundheit wurde, musste ich mich mit den sozialen Konsequenzen der Reformen auseinandersetzen, und die waren enorm. Wenn man ein System mit freier Ausbildung und freiem Gesundheitswesen abschafft, bewegt man sich als Nation rückwärts.

Aber es gab keine nennenswerte Opposition. Die National-Partei machte weiter, wo Labour aufgehört hatte.

Moment, die Labour-Regierung hat in der ersten Reformrunde die Wirtschafts- und Finanzmärkte dereguliert, aber wir haben weder das soziale Netz gekappt noch den Arbeitsmarkt angefasst. Das hat die National Party getan, als sie 1990 an die Macht kam. Die haben Renten und Sozialleistungen gekürzt, Gebühren für Krankenhäuser und Universitäten eingeführt sowie die Gewerkschaften entmachtet. Es kam zu Massenentlassungen. Da ging es erst richtig abwärts.

Aber es war die Labour-Partei, die den Bauern über Nacht die Subventionen gestrichen hat.

Das war richtig. Wir mussten die Subventionen los werden – dauerhafte Bezuschussung der Produktion ist grundsätzlich falsch –, aber es geschah zu schnell, zu hart, zu radikal. Viele Farmer sahen ihr Lebenswerk zerstört. Mein Vater, ebenfalls Bauer, nahm Antidepressiva.

Wer die Krise durchgestanden hat, scheint heute sehr robust zu sein. Ist das so?

Ja, Sie finden keinen einzigen Bauern im Land, der zu den alten Zuständen zurückwill. Unsere Farmen sind hochproduktiv, und der abgelegenste Hochlandbauer hat ein ausgeprägtes unternehmerisches Bewusstsein. Aber es geht nicht nur um Milch, Fleisch, Wolle und Holz, sondern zum Beispiel auch um Biotechnologie. Wir haben vor Jahren eine Taskforce mit Leuten aus Industrie und Regierung eingerichtet, um auf diesem Feld eine klare Strategie zu entwickeln. Die Herausforderung besteht für uns darin, Mehrwert zu schaffen: Functional Food, Nahrungsergänzungsstoffe. Das müssen wir fördern, fördern, fördern.

Weit über 90 Prozent der rund 13 000 Milchbauern haben sich zu einer Grosskooperative zusammengeschlossen: Fonterra. Das sieht nach Sozialismus aus.

Wenn neuseeländische Milchproduzenten anfangen, sich gegenseitig zu unterbieten, haben sie auf dem Weltmarkt keine Chance; wir müssen nach aussen hin gemeinsam auftreten; unsere mittelgrossen Molkereien wären andernfalls längt von Nestlé oder sonstwem geschluckt worden. Deswegen haben wir dem Zusammenschluss eine Sondererlaubnis erteilt. Die Mitgliedschaft ist für die Bauern freiwillig, es gibt drei weitere kleinere Milchkooperativen, so dass im Inland durchaus Wettbewerb herrscht. Kooperativen spielten in Neuseeland schon immer eine grosse Rolle. Auch Obstbauern tun sich für Marketing und Vertrieb zusammen – die Kiwis unter Zespri, die Äpfel unter Enza.

Es ist also legitim, wenn ein Staat seine Industrien vor den rauhen Winden der Weltwirtschaft zu schützen versucht? Tut Europa mit seinen Subventionen für die Landwirtschaft nicht genau das?

Der Unterschied ist der, dass wir die Landwirtschaft als Industrie betrachten, während sie in Europa eher als Naturpflege gesehen wird. In Anbetracht der Grössenordnung der Landwirtschaft in Europa ist das absurd. Länder wie die Schweiz sollten unterscheiden zwischen der Unterstützung ländlichen Lebens einerseits und der Landwirtschaft als Industrie andererseits, denn so wie es nun läuft, profitieren grosse Agrarbetriebe am meisten von den Subventionen. Und das ist unfair gegen alle anderen.

Wie steht es mit dem Recht eines Staates auf Selbstversorgung?

Das ist altes Denken – allerdings auch in der Psyche der Briten tief verankert. Aber wir müssen den Mechanismen im neuen Europa vertrauen.

Subventionen gehören also gestrichen. Welche weiteren Lehren haben Sie aus den Rogernomics gezogen?

Nicht Privatisierung ist das zentrale Thema, vielmehr geht es darum, Staatsunternehmen so zu organisieren, dass sie nicht nach politischen Kriterien geführt werden, sondern nach unternehmerischen. Neuseeland hat nie Fabriken nach sowjetischem Muster besessen, sondern bei uns ging es um Infrastruktur. Die Eisenbahn gehört zur Grundausstattung, sie ist ein natürliches Monopol. Auch die Airline hätte nicht privatisiert werden sollen, es ist schwer, mit einer Fluggesellschaft Geld zu verdienen. Aber wir vermarkten Neuseeland durch Air New Zealand, deswegen brauchen wir eine Fluggesellschaft, um im Tourismus Geld zu verdienen.

Welche Rolle spielt die nationale Identität in einer globalisierten Wirtschaft?

Wenn wir als Regierung die Kultur nicht fördern, enden wir als Vorstadt von Los Angeles, Sydney oder Frankfurt. Aber wir haben unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Europäischer Lebensstil in Neuseeland ist anders als in Europa, Maori gibt es nur hier.

Offensichtlich bedarf es immer wieder der Ermutigung, des Appells an dieses Nationalbewusstsein?

Jemand muss dafür Sorge tragen, dafür Raum schaffen, und dabei geht es letztlich auch um Geld. Warum werden in Neuseeland in letzter Zeit so viele interessante Filme gedreht? Weil wir dafür bezahlen! Wir haben einen Fonds eingerichtet, der Drehbuchautoren und Filmemacher anlockt. Das Gleiche gilt für Musik. Wir stellen sicher, dass neuseeländische Kultur präsent ist. Wenn wir unsere eigene Kultur in Mode, Musik und Kunst zum Ausdruck bringen, gibt das den Menschen Sicherheit.

Fördern Sie die Kultur auch aus ökonomischen Gründen?

Ganz gewiss, denn ikonische Industrien wie Film haben einen Multiplikatoreffekt, der das Image eines Landes prägt, wovon wiederum Tourismus und Handel profitieren. Wir versuchen hier eine ganzheitliche Marke aufzubauen.

Nach den Reformen stand es schlecht um das gesellschaftliche Wohlbefinden. Das soziale Klima war rauh.

Das stimmt, es gab eine latente Aggression, und solche Spannungen in der Gesellschaft darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schauen Sie nur, was in Frankreich passiert: zehn Prozent Arbeitslosigkeit, konzentriert in Ghettos, da brennen die Städte. Und wenn Sie sich die Geschichte Deutschlands vor Augen führen, so war es in Zeiten von Armut und Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, als Hitlers Stunde kam. Ein soziales Gefüge sollte sehr behutsam restrukturiert werden. So gesehen hatten wir in Neuseeland damals erstaunlich wenig Krawall.

Aber eine sehr hohe Jugendselbstmordrate.

Ich bin überzeugt, dass das mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu tun hatte. Junge sahen keine Zukunft. Seit sie wieder Hoffnung haben, ist die Rate zurückgegangen.

Ihre Politik stand von Anfang an unter dem Slogan «Closing the Gap» (Schliessen der Kluft).

Es ging sowohl um die Kluft zwischen Maori und weissen Neuseeländern als auch zwischen Arm und Reich. Was die Angleichung der Einkommen anbelangt, so müssen wir zusehen, dass unsere besten Leute im Land bleiben, aber auch im untersten Segment Jobs erhalten. Ein Instrument, trotz den Differenzen soziale Sicherheit zu gewährleisten, sind Steuererleichterungen für geringe Einkommen, Investitionen in Gesundheit und Ausbildung, Pensionen. Wir sind Sozialdemokraten, wir wollen keine Bettler auf der Strasse. Schauen Sie sich in Neuseeland um, Sie werden keine finden.

Anja Jardine ist NZZ-Folio-Redaktorin.

IfW Kiel macht jetzt auch in Oeffentlichen Guetern

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat jetzt ein eigenes Forschungsprogramm aufgelegt für „Öffentliche Güter und Wirtschaftspolitik“. Koordinatoren sind die Herren Profs.Drs. Federico Foders und Matthias Lücke.

Im Mittelpunkt des Forschungsprogramms 2 steht die Frage, wie öffentliche Güter und Dienstleistungen angesichts der Globalisierung der Märkte für Güter, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit auch in Zukunft in ausreichendem Umfang – wie von der Gesellschaft gewünscht – bereitgestellt werden können. Die Globalisierung schwächt traditionelle wirtschaftspolitische Institutionen und Instrumente und erfordert neue Ansätze sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Unsere Forschung konzentriert sich auf ausgewählte Politikbereiche, die von der Globalisierung besonders betroffen sind – wie etwa die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Umwelt- und Klimapolitik sowie Wirtschaftswachstum und Armutsreduzierung in Entwicklungsländern.

http://www.uni-kiel.de/ifw/prog2/prog2.htm

Evolutionsbiologischer Beitrag zur Verhuetung der Tragedy of the Commons

Viele Probleme der menschlichen Gesellschaft, wie die Überfischung der Meere oder das globale Klimaproblem, sind Kooperationsprobleme. Wenn Personen, Gruppen oder Staaten frei sind, eine gemeinschaftlich bewirtschaftete Ressource übermäßig zu nutzen, dann tun sie das in der Regel auch. Dieses als „Tragedy of the Commons“ bekannte Problem wird von Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern seit Jahrzehnten und neuerdings auch von Evolutionsbiologen intensiv untersucht. Doch außer der Möglichkeit, Nicht-Kooperationsbereite direkt zu bestrafen, hat man bisher noch keine kooperative Lösung der Tragedy of the Commons gefunden. Forscher des Plöner Max-Planck-Instituts für Limnologie konnten nun experimentell zeigen, dass ein Gemeinschaftsgut dann kooperativ bewirtschaftet wird und die „Tragedy of the Commons“ nicht mehr existiert, wenn die Art und Weise, wie das Gut genutzt wird, mit der Reputation des Nutzers verknüpft wird (nature, 24. Januar 2002). Gelingt das, wirft die Gemeinschaftsressource für alle Nutzer hohen Gewinn ab.

Mehr Details in der Pressemitteilung der MPG.

Geographie und Klima als Determinanten menschlicher Entwicklungsgeschichte

„Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften“ von Jared Diamond (zuerst 1997: „Guns, Germs, and Steel“) geht eine ähnliche These an wie „Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind“ von David S. Landes (in englischer Sprache zuerst 1998). Aber längst nicht so aufdringlich. Und aus der eher einleuchtenden Perspektive der historischen Anthropologie als der der Wirtschaftswissenschaften. Diamond ist zwar genauso wenig Marxist wie Landes, aber das Buch läßt sich leichter ‚gegen den Strich‘ lesen.
vgl. auch http://www.mysteria3000.de/wp/?p=63

Transformation netzgebundener Infrastrukturen und sozial-oekologische Entwicklung der Geschlechterverhaeltnisse

Ein kritischer Blick auf die Privatisierung im Bereich Verkehr (EU-Politiken zu „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ bzw. öffentlichen Dienstleistungen, sog. Bahnreform/Regionalisierung des ÖPNV etc.) zeigt: Sobald es um finanzstarke Sektoren bzw. netzgebundene Infrastrukturen geht, von denen alle abhängig sind und die erhebliche Auswirkungen auf jeden Alltag und Haus-/Versorgungsarbeit haben, finden sich keine feministischen Analysen, keine Daten oder vertiefenden Erkenntnisse aus der Perspektive der Gender Studies.
Eine der wenigen Ausnahmen: Anfang 2005 legte Meike Spitzner vom Wuppertal-Institut eine systematische Untersuchung im Verkehrsbereich für Deutschland und ein Gender-Analyse-Konzept für die Privatisierung von Infrastrukturen vor. Auch die Privatisierungen im Bereich Energie, Wasser und Telekommunikation lassen sich damit kritisch analysieren.

Spitzner, Meike (2004): Netzgebundene Infrastrukturen unter Veränderungsdruck – Gender-Analyse am Beispiel ÖPNV. Untersuchung zur sozial-ökologischen Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme: Transformationen des Öffentlichen Personennahverkehrs und sozial-ökologische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse“. Untersuchung im Auftrag des Verbundforschungsprojekts „Sozial-ökologische Regulation netzgebundener Infrastruktursysteme“ des Forschungsverbunds netWORKS im BMBF-Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“, Themenschwerpunkt 2 „Sozial-ökologische Transformationen im Ver- und Entsorgungssektor (STRIVE)“. Schriftenreihe NetWORKS-Papers Nr.13. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik (Difu). ISBN 3-88118-384-1.

Es gibt die Studie zum download. Weitere Studien auf der einer und einer zweiten Publikationsliste.

Meike Annamarie Spitzner ist Projektleiterin der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik und zuständig für die wissenschaftliche Koordination „Gender“ am Wuppertal Institut für Klima•Umwelt•Energie GmbH im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen und erreichbar per Telefon (++49-202-2492-151 (Sekr: -184) (Fax: -263)) und per email.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnt die Bundesregierung angesichts der Diskussion um den Boersengang der Deutschen Bahn AG vor einer Privatisierung der Schieneninfrastruktur

ngo-online berichtet:
(ngo) Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnt die Bundesregierung angesichts der Diskussion um den Börsengang der Deutschen Bahn AG vor einer Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Das Eigentum an Schienenwegen, Bahnhöfen und anderen Infrastruktureinrichtungen, die für den Bahnbetrieb unabdingbar sind, dürfe nicht dem Interesse privaten Kapitals unterstellt werden. Dann würden ausschließlich Renditeerwartungen über Investitionen und Betrieb bestimmen und dem Interesse des Gemeinwohls entgegen stehen. Sollte sich die Privatisierung des Gesamtkonzerns wie vom VCD erwartet als Fehler erweisen, sei der Schaden später nur schwer und mit viel Geld wieder gut zu machen.
„Der Eisenbahnverkehr ist elementarer Bestandteil des öffentlichen Mobilitätsangebotes“, sagte Michael Gehrmann, Vorsitzender des Verkehrsclubs. „Er hat bei der umwelt- und klimaschonenden Fortbewegung eine Spitzenstellung.“ Grundlage dafür sei eine gut ausgebaute und intakte Schieneninfrastruktur. Die könne nur gesichert werden, „wenn sie mit allem was dazu gehört in Eigentum und Verantwortung des Bundes bleibt“.
Bedenken gegen eine Privatisierung des Schienennetzes äußerte Medienberichten zufolge auch der Bundesrechnungshof. Zudem komme nach bisherigen Informationen das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten der Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton zu der Empfehlung, Netz und Betrieb im Falle eines Börsenganges zu trennen. „Es gibt ganz offensichtlich nicht nur verkehrspolitische sondern auch gewichtige ökonomische Bedenken gegen eine Privatisierung des Schienennetzes“, so Gehrmann.
Offizielles Ziel der Bahnreform sei es, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Daher werde eine Infrastruktur vorgehalten, die der Bund mit jährlich rund vier Milliarden Euro bezuschusse und nur deshalb zahle der Bund jährlich etwa sieben Milliarden Euro Regionalisierungsmittel, die für die Bestellung des Schienenpersonennahverkehrs zur Verfügung stünden.
„Die Existenz der Deutschen Bahn AG wird gegenwärtig dadurch gesichert, dass ihr der staatliche Eigentümer jährlich zehn bis elf Milliarden Euro für Infrastruktur und Betrieb zuwendet“, Heidi Tischmann, Verkehrsreferentin des VCD. Diese enormen Steuermittel müssten einen entsprechenden verkehrspolitischen Nutzen haben: „mehr Verkehr auf der Schiene, weniger Umweltbelastung“.
Fazit des VCD: „Besser ein integrierter Bahnkonzern in öffentlichem Eigentum, als eine privatisierte Infrastruktur mit steuerfinanzierten Monopolrenditen, mit der im Zweifelsfall Konkurrenten ferngehalten werden können – zu Lasten eines flächendeckenden Angebotes.“
Quelle: http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=12690

Privatisierung der Weltbank gescheitert

Die Meldung ist schon älter (Spätsommer 2005), aber ab und zu hilft es ja auch, sich mal eine weniger aktuelle Nachricht noch mal in Erinnerung zu rufen, um sich klar zu machen: Wir können auch anders…

Argentinische Regierung legt sich mit französischem Multi an – wegen der Wasserversorgung in Buenos Aires

Es ist ein Signal: Der französische Wassermulti Suez will sich aus aus Buenos Aires zurückziehen. Man werde den eigenen Aktionären empfehlen, den „Konzessionsvertrag“ aufzulösen. Damit wird erneut deutlich: Die Weltbank ist mit ihrer Politik gescheitert, die öffentlichen Dienstleistungen in den Schwellenländern zu privatisieren.

Der argentinische Staatschef Néstor Kirchner reagierte deutlich auf den Rückzug des Wasserkonzerns: „Sollen sie doch gehen, wenn sie gehen wollen.“ Der Konzern habe die Wasserpreise unzumutbar erhöht und dennoch völlig auf Investitionen verzichtet. „Dieser Präsident wird nicht zulassen, dass die Firma dem argentinischen Volk weiterhin Trinkwasser und Abwasserkanäle vorenthält.“ Andere Investoren würden sich durch diese Vorgaben nicht abschrecken lassen, fügte Kirchner trotzig hinzu.

1993 war das öffentliche Wasserwerk der argentinischen Hauptstadt privatisiert worden. Es wurde von Aguas Argentinas übernommen, zu dessen Anteilseignern nicht nur Suez gehörte – sondern auch die Weltbank-Tochter IFC. Doch Aguas Argentinas verstieß gleich gegen mehrere Auflagen des Konzessionsvertrags. Die Gebühren wurden bis 2002 um durchschnittlich 88,2 Prozent erhöht, für die ärmsten Nutzer sogar um 177 Prozent. Die Rendite von Aguas Argentinas betrug damals über 15 Prozent im Jahr – weitaus mehr als im internationalen Durchschnitt.

Dennoch ist Aguas Argentinas heute mit knapp 600 Millionen Dollar verschuldet. Denn nach der unvermeidlichen Abwertung des Peso 2001 war es vorbei mit der Privatisierungs-Bonanza: Die Einkünfte in harter Währung gingen drastisch zurück, die Erhöhung der Wasserpreise hielten sich in engen Grenzen.

Nach dem Rückzug von Aguas Argentinas überlegt die Regierung fieberhaft, wie die privatisierten Wasserwerke nun zumindest zum Teil wieder verstaatlicht werden können. Denn Engpässe in der Wasserversorgung sind gerade in den Sommermonaten keine Seltenheit, und im Oktober finden Kongresswahlen statt.

Zudem sind die Streitereien mit Suez noch immer nicht ausgestanden. Denn nun muss geklärt werden, wer für die vorzeitige Beendigung des 30-jährigen Konzessionsvertrags verantwortlich ist. Vor dem Weltbank-Schiedsgericht für Investitionsfragen hat der Multi Argentinien bereits auf Schadensersatz in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar verklagt. Umgekehrt will die Regierung Kirchner die Gläubiger des Konsortiums und die argentinischen Gerichte über dessen „gravierende Vertragsverletzungen“ informieren.

Für den Forscher Daniel Azpiazu ist die gescheiterte Wasserprivatisierung in Buenos Aires das Paradebeispiel dafür, dass der Neoliberalismus in Argentinien gescheitert ist: „Die Firmen haben geklaut, der Staat war korrupt, der IWF und die Weltbank stellten sich als Komplizen heraus.“

Zumindest in ihren offiziellen Veröffentlichungen hat die Weltbank inzwischen einen Schwenk vollzogen. Sie propagiert jetzt Public Private Partnerschips und ist von Totalprivatisierungen abgerückt. Allerdings kann sich die Weltbank noch nicht vorstellen, die öffentliche Versorgung wieder ganz den staatlichen Regierungen zu übertragen.

Entsprechendem Druck dürfte sich auch argentinische Wirtschaftsminister Roberto Lavagna in Washington ausgesetzt sehen, wo er ab morgen an den Jahrestreffen von IWF und Weltbank teilnimmt. Die Weltbank etwa hat Argentinien einen 500-Millionen-Dollar-Kredit „für die Verbesserung des Investitionsklimas“ in Aussicht gestellt.

GERHARD DILGER

taz Nr. 7775 vom 22.9.2005, Seite 8, 132 TAZ-Bericht GERHARD DILGER

Privatisierung der Weltbank gescheitert. Argentinische Regierung legt sich mit franzoesischem Multi an – wegen der Wasserversorgung in Buenos Aires

PORTO ALEGRE taz Es ist ein Signal: Der französische Wassermulti Suez will sich aus aus Buenos Aires zurückziehen. Man werde den eigenen Aktionären empfehlen, den „Konzessionsvertrag“ aufzulösen. Damit wird erneut deutlich: Die Weltbank ist mit ihrer Politik gescheitert, die öffentlichen Dienstleistungen in den Schwellenländern zu privatisieren.
Der argentinische Staatschef Néstor Kirchner reagierte deutlich auf den Rückzug des Wasserkonzerns: „Sollen sie doch gehen, wenn sie gehen wollen.“ Der Konzern habe die Wasserpreise unzumutbar erhöht und dennoch völlig auf Investitionen verzichtet. „Dieser Präsident wird nicht zulassen, dass die Firma dem argentinischen Volk weiterhin Trinkwasser und Abwasserkanäle vorenthält.“ Andere Investoren würden sich durch diese Vorgaben nicht abschrecken lassen, fügte Kirchner trotzig hinzu.
1993 war das öffentliche Wasserwerk der argentinischen Hauptstadt privatisiert worden. Es wurde von Aguas Argentinas übernommen, zu dessen Anteilseignern nicht nur Suez gehörte – sondern auch die Weltbank-Tochter IFC. Doch Aguas Argentinas verstieß gleich gegen mehrere Auflagen des Konzessionsvertrags. Die Gebühren wurden bis 2002 um durchschnittlich 88,2 Prozent erhöht, für die ärmsten Nutzer sogar um 177 Prozent. Die Rendite von Aguas Argentinas betrug damals über 15 Prozent im Jahr – weitaus mehr als im internationalen Durchschnitt.
Dennoch ist Aguas Argentinas heute mit knapp 600 Millionen Dollar verschuldet. Denn nach der unvermeidlichen Abwertung des Peso 2001 war es vorbei mit der Privatisierungs-Bonanza: Die Einkünfte in harter Währung gingen drastisch zurück, die Erhöhung der Wasserpreise hielten sich in engen Grenzen.
Nach dem Rückzug von Aguas Argentinas überlegt die Regierung fieberhaft, wie die privatisierten Wasserwerke nun zumindest zum Teil wieder verstaatlicht werden können. Denn Engpässe in der Wasserversorgung sind gerade in den Sommermonaten keine Seltenheit, und im Oktober finden Kongresswahlen statt.
Zudem sind die Streitereien mit Suez noch immer nicht ausgestanden. Denn nun muss geklärt werden, wer für die vorzeitige Beendigung des 30-jährigen Konzessionsvertrags verantwortlich ist. Vor dem Weltbank-Schiedsgericht für Investitionsfragen hat der Multi Argentinien bereits auf Schadensersatz in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar verklagt. Umgekehrt will die Regierung Kirchner die Gläubiger des Konsortiums und die argentinischen Gerichte über dessen „gravierende Vertragsverletzungen“ informieren.
Für den Forscher Daniel Azpiazu ist die gescheiterte Wasserprivatisierung in Buenos Aires das Paradebeispiel dafür, dass der Neoliberalismus in Argentinien gescheitert ist: „Die Firmen haben geklaut, der Staat war korrupt, der IWF und die Weltbank stellten sich als Komplizen heraus.“
Zumindest in ihren offiziellen Veröffentlichungen hat die Weltbank inzwischen einen Schwenk vollzogen. Sie propagiert jetzt Public Private Partnerschips und ist von Totalprivatisierungen abgerückt. Allerdings kann sich die Weltbank noch nicht vorstellen, die öffentliche Versorgung wieder ganz den staatlichen Regierungen zu übertragen.
Entsprechendem Druck dürfte sich auch argentinische Wirtschaftsminister Roberto Lavagna in Washington ausgesetzt sehen, wo er ab morgen an den Jahrestreffen von IWF und Weltbank teilnimmt. Die Weltbank etwa hat Argentinien einen 500-Millionen-Dollar-Kredit „für die Verbesserung des Investitionsklimas“ in Aussicht gestellt.
TAZ-Bericht GERHARD DILGER
taz Nr. 7775 vom 22.9.2005, Seite 8, 132
http://www.taz.de/pt/2005/09/22/a0121.nf/text.ges,1

LeMondeDiplomatique-Dossier: Soeldner und Privatpolizisten. Outsourcing, das Irak-Experiment

Von Sami Makki *
* Forscher am Centre Interdisciplinaire de Recherches sur la Paix et d’Études Stratégiques (Cirpes) in Paris; Autor von „Militarisation de l’humanitaire, privatisation du militaire“, Paris (Cirpes) 2004.
Niccolò Machiavelli hielt nicht viel von den Söldnertruppen, mit denen die Herrscher im Mittelalter ihre Feldzüge bestritten. Der Philosoph riet seinem „Principe“, sich besser nicht auf sie zu verlassen, seien sie doch „uneinig, herrschsüchtig, undiszipliniert und treulos; mutig unter Freunden und feige vor dem Feind; ohne Furcht vor Gott und ohne Treue gegenüber den Menschen“. Heute gelten Privatsoldaten als kostengünstige Subunternehmer von „Sicherheitsdienstleistlern“, denen im Irak jährlich mehrere Milliarden Dollar aus dem US-Militärbudget zufließen. In Kolumbien hängen Söldneranbieter an der Nadel des Drogenkriegs. Auch in Afrika eröffnen sich den „vaterlandslosen Soldaten“ neue Betätigungsfelder, weil die Rohstoffe des Kontinents immer interessanter werden. Ein Dossier.

Bereits einige Monate nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein waren im Irak knapp 20 000 Beschäftigte privater Sicherheitsunternehmen tätig. Deren Einsatz beruht auf dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis der vielen Abgesandten von internationalen Organisationen und der amerikanischen Investoren vor Ort. Laut einem Bericht des US-Außenministeriums vom Mai 2004(1) wurden angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage mehr als 25 überwiegend britische und amerikanische Söldnerfirmen angeheuert. Diese so genannten PMCs, Private Military Companies, sind jedoch nur der sichtbare Teil eines umfassenderen Schattenreiches.

Infolge der Globalisierung des militärisch-industriellen Komplexes, der „Rationalisierung“ des Militärbudgets und schrumpfender Truppenstärke verstärken die US-Streitkräfte ihr „Outsourcing“. Eine solche Auftragsvergabe an private Subunternehmer folgt dem Gebot der neoliberalen Privatisierungspolitik und zielt auf eine Risikoteilung zwischen Staat und Privatsektor ab.(2) Angesichts knapper Kassen sollen derartige öffentlich-private Partnerschaften, die als sparsam und effizient gelten, die Militärausgaben verringern. Dies gilt nicht nur für militärpolizeiliche Aufgaben wie im Irak, sondern auch für die „privatisierte“ Entwicklung der Armeeausrüstung. So können am besten an anderer Stelle Mittel für die Entwicklung und Beschaffung neuer Waffensysteme freigesetzt werden. So behauptete das US-Verteidigungsministerium 2002, durch Outsourcing ließen sich zwischen 1997 und 2005 über 11 Milliarden Dollar einsparen. Die Ankündigung sollte wohl in erster Linie die Folgen der organisatorischen und wirtschaftlichen Umstrukturierung des Verteidigungssektors und den damit einhergehenden Abbau von Beschäftigten zugunsten des Privatsektors verschleiern.

Harsche Kritik wurde daher laut, als die US-Streitkräfte im Oktober 2002 das geplante „Outsourcen“ weiterer 200 000 Beschäftigten bekannt gaben. Experten meldeten Zweifel an, ob die radikale Reform eine höhere Effizienz gewährleisten würde.(3) Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundesangestellten, Robert Harnage, gab 2003 zu bedenken, dass „die Zahl der Beschäftigten bei privaten Auftragnehmern des Verteidigungsministeriums die Zahl der Zivilbeamten um das Vierfache“ übersteige. Outsourcing bedeute nicht „Abschaffung von Arbeitsplätzen, sondern Abschaffung von Verantwortlichkeit“.(4)

Im Rahmen des Outsourcings von Dienstleistungen für Truppen im Auslandseinsatz unterzeichnete die US-Administration zwischen 1994 und 2004 über 3 000 Verträge, darunter auch mit diversen Söldnerfirmen wie der DynCorp, der Military Professional Ressources Inc. (MPRI) und Kellogg Brown & Root (KBR). Das Gesamtauftragsvolumen der letzten zehn Jahre lag bei über 300 Milliarden Dollar. Nicht nur für reguläre Truppenverbände, sondern auch im Bereich von Logistik, Instandhaltung und Wartung der Waffensysteme sind immer mehr Beschäftigte des Privatsektors tätig. Während noch im ersten Golfkrieg 1991 auf 100 Soldaten ein privat Beschäftigter kam, waren es im vorigen Jahr bereits zehn. Derzeit stellen die PMCs im Irak eine Art zweite Besatzungstruppe dar, deren Gesamtstärke einem Fünftel der US-Streitkräfte entspricht.

Von den jährlichen Einsparungen in Höhe von 4,5 bis 6 Milliarden Dollar, die sich das Pentagon von der Umstrukturierung erhoffte, ist bislang nicht viel zu spüren. Prüfungen des US-Rechnungshofs ergaben, dass die tatsächlichen Kosten bei etlichen Verträgen die Vorabschätzungen deutlich überstiegen und für Dienstleistungen im Irak überhöhte Rechnungen vorgelegt wurden.(5) Der Ölkonzern Halliburton etwa, dem bis 2000 US-Vizepräsident Cheney vorstand, erhielt über seine Tochterfirma KBR voriges Jahr Aufträge über mehr als 1 Milliarde Dollar. Die undurchsichtige Auftragsvergabe sorgte für einen Skandal, der erneut die Interessenverquickung zwischen der Bush-Administration und US-Konzernen des militärisch-industriellen Komplexes deutlich machte.(6)

Abgesehen vom Sparen und Privatisieren spielen beim Outsourcing auch strategische Überlegungen eine Rolle. Gegen den „Terrorismus“ führen die USA weltweit einen Krieg geringer Intensität – im Jargon der Militärs eine low intensity warfare -, der auf eigenständigen strategischen und taktischen Zielen beruht. Entsprechend ihrer Militärdoktrin wollen die USA zudem in der Lage sein, mehrere größere Konfrontationen gleichzeitig zu bestehen. Eine Schwächung ihrer Führungsrolle durch den Rückzug aus strategisch minder wichtigen Regionen können sie aber nicht hinnehmen. Das Delegieren soll daher die regulären Streitkräfte von Missionen entlasten, die für die nationale Sicherheit geringere Priorität haben.

Im Rahmen des Outsourcing-Programms sollen die Streitkräfte außerdem flexibler und schneller werden, indem administrative Kontrollen und bürokratische Verfahren abgeschafft werden. Darüber hinaus bietet dieses Programm die Möglichkeit, die Außenpolitik der Kontrolle durch den US-Kongress zu entziehen. So können private Einheiten aktiv werden, auch wenn offiziell keine Bodentruppen entsandt werden dürfen. Auch Vorgaben wie das „Null Tote“-Ziel einer Mission lassen sich auf diese Weise unschwer umgehen. Operationen werden möglich, die im Widerspruch zur „offiziellen“ Militärstrategie stehen, wie es etwa im Bosnienkonflikt der Fall war: Hier ließ die US-Regierung – obwohl sie sich offiziell zur Neutralität und zur Mitwirkung an friedenserhaltenden Maßnahmen bekannte – der Söldnerfirma MPRI freie Hand, unter Verletzung des UN-Embargos die kroatisch-muslimischen Truppen mit Waffen zu versorgen und auszubilden.(7)

In den 1990er-Jahren haben US-Söldnerfirmen wie die Vinell Corporation, MPRI, Cubic und Logicon im Rahmen militärischer Kooperationsabkommen die Streitkräfte von über 40 Ländern ausgebildet und trainiert.(8) Die dadurch geknüpften Beziehungen erwiesen sich in Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten als ein hervorragendes Instrument zur Verbreitung von US-Militärnormen und zum Abschluss von Ad-hoc-Bündnissen. Auf dem afrikanischen Kontinent sind Söldnerfirmen mit logistischen Aufgaben für das US-Militär betraut – dazu gehört sogar das Erstellen von Expertisen für schnelle Eingreifoperationen.

Söldnerfirmen spielen im US-Verteidigungssystem und bei der logistischen Unterstützung ausländischer Kampfeinsätze(9) inzwischen also eine vitale Rolle. Viele von ihnen haben es im Laufe der letzten Jahre geschafft, sich durch intensive Lobbyarbeit als leistungsfähige Partner bei der Durchführung friedenserhaltender Maßnahmen zu profilieren. Damit entsteht aber die Gefahr, dass der Unterschied zwischen Entwicklungshilfe, humanitärer Hilfe und Militäreinsätzen noch weiter verwischt wird. Dies gefährdet insbesondere die Beschäftigten rein ziviler Organisationen, die mit Bedacht auf militärischen Schutz verzichten, weil er ihre Arbeit diskreditieren würde.

Im Hinblick auf die Expansion privatmilitärischer Aktivitäten kam es in den vergangenen fünf Jahren zu einer umfassenden Neustrukturierung der US-amerikanischen Rüstungsindustrie. Dazu gehörten zahlreiche Fusionen und Unternehmensübernahmen.(10) Für die multinationalen Konzerne, die den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie als Mittel zur „Beherrschung des Schlachtfelds der Zukunft“ propagieren, eröffnet sich hier ein lukrativer Markt. So erklärte Vorstandschef Frank Lanza von L-3 Communications bei der Übernahme von MPRI vor vier Jahren: „MPRI ist ein stark expandierendes Unternehmen, das im Bereich der Truppenausbildung hohe Gewinnmargen und Wettbewerbsvorteile wie kein anderes Unternehmen vorzuweisen hat und dessen Dienstleistungen unsere Produktpalette hervorragend ergänzen. […] MPRI ist auch auf der internationalen Bühne sehr aktiv, da der politische Klimawechsel mit einer wachsenden Nachfrage nach bestimmten Dienstleistungen einherging. […] Im Übrigen haben die genannten Programme die Tendenz, sich auszuweiten und uns weitere Auftragschancen zu eröffnen.“(11)

Die Kehrseite der Medaille: Die Söldnerfirmen lassen sich, wie der US-Bundesrechnungshof hervorgehoben hat, kaum kontrollieren. Kein zentralisiertes System, urteilt er, sei in der Lage, die zahllosen Outsourcing-Verträge der einzelnen US-Regierungsbehörden zu überblicken.(12) Obwohl die Vermarktung militärischer Dienstleistungen in den USA staatlicher Kontrolle unterliegt, ist es gängige Regierungspraxis, die Bestimmungen zumal in den Bereichen Informationsbeschaffung und Sonderoperationen so weit wie möglich auszulegen.(13)

Gesetzeslücken auszunutzen spielt für die republikanische Administration bei der wirksamen Bekämpfung des Terrorismus eine wichtige Rolle. Seine Grenzen findet der zunehmende Einsatz von Söldnertruppen allerdings dort, wo die Verantwortung der Politik gefragt ist. Denn die marktwirtschaftliche Dynamik kann zu unerwünschten Spannungen und anderen gravierenden Fehlentwicklungen führen.(14) Schon heute gefährdet die wachsende Nachfrage nach geeignetem Personal gelegentlich die Rekrutierungsbedürfnisse der Berufsarmee.

Anfang 2004 wurde außerdem bekannt, dass auch Angestellte der US-Söldnerfirmen Caci und Titan an der Misshandlung irakischer Kriegsgefangener beteiligt waren. Kenneth Roth, Geschäftsführer von Human Rights Watch, erklärte dazu: „Wenn das Pentagon schon beabsichtigt, Privatunternehmen mit militärischen und nachrichtendienstlichen Missionen zu betrauen, so muss es sicherstellen, dass diese Firmen strengen Auflagen und gesetzlicher Kontrolle unterliegen.“ Könnten sie „im rechtsfreien Raum handeln, käme dies einer Aufforderung zum Missbrauch gleich“. Und selbst die regierungsnahe National Defense University räumte in einem Bericht aus dem Jahr 2000 ein: „Privatisierung ist vielleicht weniger kostspielig als eine Militärintervention, doch die Qualität des Resultats und die Achtung der Menschenrechte könnten darunter leiden.“(15)

Als Ziel von Outsourcing unterscheidet man herkömmlicherweise zwischen Dienstleistungen zur Unterstützung der regulären Streitkräfte, also Tätigkeiten „im Hintergrund“ sowie „in der Etappe“, und im engeren Sinn operativen Funktionen auf dem Schlachtfeld. Doch seit dem 11. September ist die Grenze zwischen beiden Bereichen unscharf geworden.

Nach der Niederlage der irakischen Armee wurden Bewachungsaufgaben rasch an Privatunternehmen übertragen, ohne dass man über die Mittel verfügte, diese effektiv zu kontrollieren. Im September 2003 gab die US-Regierung bekannt, sie werde die Erinys Iraq Ltd. mit der Ausbildung von mehreren tausend Irakern beauftragen, die künftig die wiederholt attackierte Pipeline zwischen Kirkuk und dem türkischen Hafen Ceyhan überwachen sollen. Unter dem Führungspersonal und den Ausbildern der für Erinys Iraq arbeitenden Rekruten finden sich auch viele Spezialisten der südafrikanischen Polizei.

Negative Folgen hat diese Privatisierungsdynamik vor allem für die westlichen Sicherheits- und Militärinstitutionen. Nicht wenige Spezialisten für Sondereinsätze wandern wegen der bis zu zehnmal höheren Gehälter in den Privatsektor ab.(16) Langfristig könnte dieser Verlust an Humanressourcen auf einen Verlust an Know-how hinauslaufen, etwa bei der Wartung moderner Waffensysteme oder der Ausbildung von Piloten.

Dass es an einheitlichen Befehls- und Kontrollstrukturen ebenso fehlt wie an standardisierten Verfahren für die Rekrutierung künftiger Söldner, löst unter US-Offizieren zunehmend Besorgnis aus. Zudem werden mehr und mehr „Privatsoldaten“ als Geiseln genommen oder fallen Anschlägen zum Opfer, und die Militärs sind außerstande, diese „Zivilisten“ zu schützen. Die vier Männer, die in Falludscha Ende März 2004 von der Menge verbrannt und aufgehängt wurden – was damals zu heftigen Kämpfen führte -, waren Angestellte des US-Unternehmens Blackwater Security.

Die ebenso schlecht geplante wie auf desaströse Weise durchgeführte Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung irakischer Soldaten ins Zivilleben hinterließ im Irak ein Sicherheitsvakuum. Im Juni 2003 gab das Pentagon daher den Abschluss eines 48 Millionen Dollar schweren Vertrags mit der Vinnell Corporation bekannt, die den Kern einer neuen irakischen Armee ausbilden soll. Weitere Söldnerfirmen wie die MPRI wurden als Subunternehmer herangezogen. Im April desselben Jahres beauftragte das US-Außenministerium die DynCorp Aerospace Operations mit der Ausbildung der irakischen Polizeikräfte.

Die Aktivitäten örtlicher Milizen und die immer intensiver werdenden „aufständischen“ Aktivitäten setzten im Irak eine Gewaltspirale in Gang – die privaten Sicherheitskräfte wurden zum weniger gefährlichen Ziel für Angriffe und führten so zu mehr Instabilität. In der Folge stiegen die Tageshonorare für Söldner auf bis zu 1 000 Dollar. Mehrere tausend ehemalige Militärangehörige arbeiten derzeit für Sicherheitsunternehmen, die westliche Zivilbehörden schützen. Die Kroll Inc. und Control Risks zum Beispiel sorgen für die Sicherheit des Personals der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAid), des britischen Diplomatencorps und britischer Hilfsorganisationen.

Die Irakkrise zeigt, dass private Sicherheitskräfte während und nach einem bewaffneten Konflikt unentbehrlich sind, um die Machtpositionen der USA abzustützen. Der zunehmende Einsatz westlicher Söldnerfirmen ist das Ergebnis einer Politik, die mit neuen Interventionsformen experimentieren will. Insbesondere die Koordinationsprobleme, die sich daraus ergaben, wurden zunächst übersehen – und als das nicht mehr möglich war, wiederum privatisiert. So erhielt die im Jahr 2003 von dem britischen Oberst Tim Spicer gegründete Firma Aegis Defence Service im Mai dieses Jahres den Zuschlag für die Koordinierung von über 50 Sicherheitsunternehmen, die im Rahmen des Wiederaufbauprogramms den Schutz westlicher Unternehmen gewährleisten sollen. Der Auftrag hat ein Volumen von 293 Millionen Dollar.

Britische und US-amerikanische Diplomaten sehen in der schnellen Privatisierung offenbar kein Problem. Ein hochrangiger ziviler Beamter der Kriegskoalition, der anonym bleiben will, erklärte am Rande der Pariser Konferenz im Mai 2004, er halte den verstärkten Einsatz von Söldnerfirmen für „eine gesunde Entwicklung“. Das Verfahren könnte auch andernorts Schule machen, wenn es sich im Irak als erfolgreich herausstellen sollte. Auch friedenserhaltende Operationen sollten zunehmend privatisiert werden, indem man die Grenzen für ein Outsourcing militärischer Funktionen „fortlaufend“ erweitert.

Die Entscheidung des ehemaligen US-Zivilverwalters im Irak, Paul Bremer, private Sicherheitskräfte nicht dem neuen irakischen Recht zu unterstellen, entzieht diesen Sektor jeder Kontrolle durch die Iraker. Zwar dürfte der vermehrte Einsatz ziviler und militärischer Privatkräfte den strategischen Interessen der USA dienen, doch die vielen Anschläge und Aufstände im Irak belegen, dass sie im Land selbst vornehmlich zu größerem Chaos und weiteren Konflikte führen.

Tatsächlich untergräbt die Privatisierung militärischer Kräfte die künftige Souveränität des irakischen Staats. Sie macht deutlich, dass die wirtschaftlichen Zielvorstellungen der USA mit den politischen Gegebenheiten im Irak kollidieren. Die Söldnerfirmen bieten „schlüsselfertige“ Lösungen an, die von der Beratung bis zur Umsetzung vor Ort reichen. Weil sich die Expertise mehr und mehr in ihren Händen konzentriert, spielen technische und organisatorische Gesichtspunkte bei der Analyse von Konflikten eine unverhältnismäßig große Rolle. Politische Überlegungen treten immer mehr in den Hintergrund.

Der Bedeutungszuwachs privater Söldnerfirmen bringt die traditionellen politischen und zivilmilitärischen Verhältnisse aus dem Gleichgewicht – und zwar nicht nur in Gesellschaften wie der irakischen, die eine schwere Krise durchgemacht haben, sondern auch im Westen. Sie sind hybride Geschöpfe, indem sie die Unterscheidung zwischen zivilem und militärischem, privatem und öffentlichem Sektor verwischen. Da sie überdies vielfach als informelle Netzwerke funktionieren, begünstigen sie Korruption und Kriminalität. In dem Maße, wie die neue US-Strategie eine globale Interventionsfähigkeit der Söldnerfirmen vorsieht, erweist sie sich als Quelle von Instabilität und Chaos. Sie legitimiert die unilaterale Machtausübung der USA weltweit, vor allem aber in den „instabilen“ Regionen des Südens, wo mittels CIA, Sondereinsatzkräften und Söldnerfirmen jene „Kriege geringer Intensität“ geführt werden.

Der Einsatz der PMCs illustriert eine Entwicklung, die durch neuartige Konflikte und die Schwächung staatlicher Souveränität auf der internationalen Bühne gekennzeichnet ist. Solche Konflikte werden in Grenzregionen der Globalisierung an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen dieser Entwicklung wird die Privatisierung der Gewaltausübung wahrscheinlich eine bestimmende Rolle spielen. Für die anderen Mitglieder der Kriegskoalition dient das irakische Experiment als Probelauf, um die Auswirkungen von Outsourcing besser einschätzen zu können – bevor sie sich selbst an dessen Einführung machen.

deutsch von Bodo Schulze
Fußnoten:
(1) US State Department, „Security Companies Doing Business in Iraq“, Mai 2004.
(2) Frank Camm, „Expanding Private Production to Defense Services“, Rand Report MR734, S. Monica 1996.
(3) John Deal u. James Ward, „Second Thoughts on Outsourcing for the Army“, Army Magazine, Association of the United States Army, Arlington (VA), Mai 2001, S. 54; Michael O’Hanlon, „Breaking the Army“, The Washington Post, 3. Juli 2003.
(4) Zitiert nach Maya Kulycky, „How Far Can a War be Outsourced?“, MSNBC News, 14. Januar 2003, www.msnbc.msn.com/id/3072959
(5) US GAO, Contingency Operations: „Army Should Do More to Control Contract Cost in the Balkans“, NSDIAD-00-225, Oktober 2000.
(6) Walter F. Roche Jr. und Ken Silverstein, „Iraq. Advocates of War Now Profit From Iraq’s Reconstruction“, Los Angeles Times, 14. Juli 2004.
(7) Sami Makki, Sarah Meek u. a., Private Military Companies and the Proliferation of Arms, „Biting the Bullet Briefing 11“, International Alert, London, Juni 2001, S. 10.
(8) Deborah Avant, „Privatizing Military Training“, Foreign Policy in Focus 7 (6), Institute for Policy Studies, Washington, D. C., Mai 2002.
(9) Dazu Stephen Perris und David Keithly, „Outsourcing the Sinews of War: Contractor Logistics“, Military Review, US Army Command and General Staff College, Fort Leavenworth (KS), Oktober 2001, S. 72-83.
(10) Dazu Murray Weidenbaum, „The Changing Structure of the US Defense Industry“, Orbis, Foreign Policy Research Institute, Philadelphia (PA), Herbst 2003.
(11) „L-3 Com Announces Acquisition of MPRI“, Business Wire, 18. Juli 2000, zitiert nach Peter W. Singer, „Corporate Warriors: The Rise of the Privatized Military Industry“, Ithaca u. London (Cornell Univ. Press) 2003, S. 134.
(12) US GAO, „Military Operations: Contractors Provide Vital Services ot Deployed Forces but Are Not Adequately Addressed in DoD Plans“, Report GAO-03-695, Washington, D. C., Juni 2003.
(13) Dazu Eugene Smith, „The New Condottieri and US Policy: the Privatization of Conflict and Its Implications“, Parameters, US Army War College Quarterly, Carlisle (PA), Herbst 2002-2003.
(14) Thomas Adams, „The New Mercenaries and the the Privatization of Conflict“, Parameters, US Army War College Quarterly, Carlisle (PA), Sommer 1999, S. 103.
(15) National Defense University, Strategic Assessment 1999, Washington D. C., 2000, S. 240.
(16) Dazu das Dossier in Courrier international 710, 10. bis 16. Juni 2004, S. 4952.

Le Monde diplomatique Nr. 7512 vom 12.11.2004