Tallinn: Kostenloser öffentlicher Verkehr

reevolution_banner-600x145Seit Januar ist Tallinn, Estland, die erste Hauptstadt in der EU mit kostenlosem öffentlichen Personennahverkehr (vgl. die Liste aller Städte mit kostenlosem ÖPNV weltweit). Alle Bürger der Stadt können sich für zwei Euro registrieren lassen und fahren dann kostenlos. Seit die Bürger der Stadt zum Nulltarif fahren können, ist der Autoverkehr im Zentrum von Tallinn bereits um 15 Prozent zurückgegangen. Nun überlegen auch andere Städte, Gratis-Öffis einzuführen. Gerade fand eine internationale Konferenz zum Thema kostenloser ÖPNV in Tallinn statt, unter Beteiligung einer kleinen Delegation der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mehr: Wer in Tallinn lebt, fährt gratis mit Öffis – Öffentlicher Verkehr – derStandard.at

Nachtrag 3.9.: Das Haar in dieser Suppe ist allerdings der Zwang zur personalisierten Anmeldung in Kombination mit dem elektronischen Ticketsystem. Beides zusammen ergibt ein perfektes Mobilitätsüberwachungssystem. Die Internetkonzerne machen vor, wie viel Geld mit personalisierten Datensammlungen zu machen ist. Es lässt sich also zuspitzen: In Tallinn zahlen die Bürger ihre Fahrten nicht mehr mit Geld, sondern mit Daten. (Nebenbei: Verkehrsflussoptimierung lässt sich sehr wohl auch ohne die Personalisierung der Daten optimieren.) Und die Enthüllungen über die Internetüberwachung von NSA und Co. zeigen, wie durchlässig die Grenzen zwischen der Datensammlerei durch (private) Infrastrukturbetreiber und Geheimdiensten sind. Staatliche Kontrolle bekommt auf der Basis personalisierter Erfassung von Mobilitätsverhalten eine neue Qualität. Übertragen auf deutsche Verhältnisse wären durch ein derartiges „kostenloses“ System die gleichen Gruppen ausgeschlossen vom „öffentlichen“ Verkehr, die es auch schon heute sind, wenn die Dinge über Geld geregelt werden, z.B. HartzIV-Menschen, die vor Ort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen haben und Flüchtlinge, die per Residenzpflicht in einer Kommune gefangen sind. Das Tallinner Beispiel wird nur dann in einer emanzipatorischen Richtung transformatorisch wirken, wenn der eklatante Konstruktionsfehler der personalisierten Mobilitätserfassung benannt und kritisiert wird.