Reichtum. Was ist das eigentlich?

Reichtum gilt im Alltagsverständnis als die Verfügbarkeit von Gütern, welche das Leben bereichern und in der Regel in Kategorien wie Geld, Vermögen und Eigentum ausgedrückt werden können. Reichtum bezeichnet dabei einen Überfluss an Wertsachen oder auch die Tatsache des Besitzes von materiellen Gegenständen. Wohlstand und Reichtum finden dabei oftmals eine synonyme Verwendung und verweisen auf einen Aspekt von Lebensqualität.

Doch Reichtum ist mit einer Fülle von ökonomischen und gesellschaftlichen Beziehungen verknüpft. Insbesondere Eigentumsfragen und die Modi der Mehrwerterschaffung sind fundamental für das entstehen von Reichtum. Bereits Karl Marx sah 1859 in seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ die Mehrwertproduktion als Voraussetzung für den Reichtum. Denn erst der produzierte Mehrwert, so die Argumentation, bringe die Frage nach der Verteilung eines Überflusses hervor: „Die adäquate Existenzform dieses Überflusses ist Gold und Silber, die erste Form, worin der Reichtum als abstrakt gesellschaftlicher Reichtum festgehalten wird.“ (MEW 13: 105).

Dass Reichtum auch heutzutage nicht nur eine Verteilungsfrage von Einkommen und Vermögen ist, zeigen die Listen der Reichen, die international oder auch für einzelne Länder regelmäßig veröffentlicht werden. Der größte Teil bezieht seinen Reichtum nach wie vor aus wirtschaftlichen Aktivitäten [>>>].

Doch jenseits der Hitlisten des Reichtums gibt es nur wenig zugängliche Informationen zur Welt der Reichen. Die eines linken Populismus unverdächtige Schader-Stiftung [html] formuliert auf ihrer Webseite unter dem Stichwort „Gesellschaft+Wandel“ die überaus schwierige Quellenlage: „Begibt man sich auf die Suche nach Zahlenmaterial über Millionäre in Deutschland, so entsteht der Eindruck, dass es nicht nur ‚versteckte Armut‘, sondern auch ‚versteckten‘ Reichtum gibt – derart wenig Daten finden sich.“

Auch Gerd Nollmann und Hermann Strasser argumentieren in ihrem Text: Armut und Reichtum in Deutschland. (auch in: Aus Politik und Zeitgeschichte B, 2002, 29-30, S. 22ff.) ähnlich: „Die Suche nach dem Reichtum und den Reichen gleicht, nicht nur in Deutschland, einer Detektivarbeit. Es gibt deshalb auch keine einzelne systematische, geschweige denn eine erschöpfende Datensammlung zu großen Einkommen und Vermögen…“

Anders als im Bereich der Armutsforschung gibt es keine klare sozialwissenschaftliche Definition von Reichtum. Millionäre werden als Reich bezeichnet und werden in verschiedenen Statistiken immer wieder erfasst. Doch schon dabei verliert sich Trennschärfe einer empirisch klaren Kategorie. Geht es um Vermögensmillionäre, um Einkommensmillionäre oder Erbschaftsmillionäre? Gelten bei der Feststellung individuelle (pro Kopf) oder familiäre (Haushalt) Bezüge. Wo beginnt Reichtum? Ist es der Lebensstil des Überflusses oder der Besitz einer Eigentumswohnung, ist es das überdurchschnittliche Einkommen oder eine üppige Erbschaft?

Eine systematische Annäherung an die Reichtsumsentstehung und -verteilung findet sich bei Dieter Klein. In „Milliardäre – Kassenleere. Rätselhafter Verbleib des anschwellenden Reichtums“ folgt er faktenreich den Spuren des Reichtums. Hans-Jürgen Krysmanski stellt sich der Frage des Reichtums in einem europäischen Kontext. Seine Studie „Wem gehört die EU?“ verbindet die Empirie der Reichtumsverteilung mit der Power Structure Research und untersucht die Zusammenhänge von Reichtum und Macht. Dabei identifiziert er einen „Geldmachtapparat“ dem nicht nur die Wirtschafts- und Geldeliten, sondern auch die Wissens- und Politischen Eliten zugerechnet werden.

Die Welt des Reichtums: Einkommen und Vermögen

Es gibt verschiedene Formen individuellen Reichtums. Am häufigsten Verwendung findet eine Unterscheidung in die Quellen des Reichtums Einkommen und Vermögen. So definiert etwa Ernst-Ulrich Huster (gemeinsam mit Fritz Rüdiger Volz der Herausgeber des Buches „Theorien des Reichtums“ die Reichtumsgrenze jenseits des doppelten durchschnittlichen Haushaltsäquivalenzeinkommens – in Anlehnung an die Erfassung von Armut, deren Grenze durch die Hälfte des gewichteten durchschnittlichen Einkommens markiert ist. Nimmt man dieses Kriterium, so konnte in Deutschland im Jahr 1998 etwa jeder 13. Haushalt (gut 7 Prozent) als reich bezeichnet werden. Der Anteil der der „Einkommensmillionäre wird im selben Zeitraum mit etwa 20.000 oder 0,08 Prozent geschätzt.

Doch Einkommen ist nur eine Möglichkeit, den Reichtum zu ‚messen‘. Der German Wealth Report 2000 von Merrill Lynch und Cap Gemini Ernst & Young etwa verweist in Deutschland auf: „rund 365.000 Personen mit mehr als einer Million Euro Geldvermögen und 3.700 mit einem Geldvermögen von mehr als 30 Millionen Euro.“. Vermögen und Besitz ist für die Genese des Reichtums bedeutsamer als das Einkommen.

Die Studie gibt darüber hinaus noch wertvolle Informationen zu Dynamik der Reichtumsentwicklung und zur regionalen Verteilung: „Die Gruppe der Reichen nahm im Zeitraum von 1996 bis 1999 um 5,3 Prozent jährlich, entsprechend insgesamt um 52.000 Personen, zu. 612 Milliarden Euro befinden sich allein im Besitz der 3.700 Superreichen… Insgesamt 25,7 Prozent des gesamtdeutschen Vermögens werden von 0,5 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung gehalten. Dabei sind 92 Prozent des deutschen Vermögens in den alten Bundesländern und in Berlin konzentriert. 90,5 Prozent aller reichen und superreichen Deutschen leben in den alten Bundesländern, nur 9,5 Prozent in den neuen Bundesländern. In den Hansestädten Hamburg und Bremen sowie in Hessen besteht im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die größte Millionärsdichte. Absolut betrachtet leben die meisten Reichen in Nordrhein-Westfalen mit seiner historisch gewachsenen großen Zahl von Familienunternehmen, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg.“

Dass sozialwissenschaftliche Untersuchungen zuweilen auch nur zur Bestätigung von populären Selbstverständlichkeiten dienen, beweist Stefan Weick mit seiner Untersuchung „Wer zählt zu den ‚Reichen‘ in Deutschland?“ aus dem Jahre 2000. „Die Längsschnittanalyse zeigt, dass Personen, die sich dauerhaft in der höchsten Einkommensposition befinden, auch die höchste Einkommenszufriedenheit aufweisen.“ Reiche haben also nicht nur mehr Geld sondern sind mit ihrer Situation auch noch zufrieden.

Empirisches Material zu Reichtum und Vermögen ist verstreut in dutzenden Studien, Berichten und Webseiten zur BRD, den USA und anderen Weltregionen.

Ein großer Teil des Vermögens ist jedoch nicht in Unternehmen und Aktien gebunden sondern in Immobilien- und Grundbesitz. Das Eigentum an Boden und Immobilien [>>>] hat dabei nicht mehr nur die traditionelle Funktion einer sicheren Wertanlage sondern ist zunehmend von der spekulativen Dynamik einer finanzkapitalistischen Anlagesphäre gekennzeichnet. Der Immobilienboom von Weltstädten wie New York, London [>>>] oder Hongkong – mit den vom Substanzwert völlig entkoppelten Bodenpreisen – wird auf der Webseite Economist.com als „die größte Blase der Geschichte“ auf den internationalen Immobilienmärkten bezeichnet [>>>].

Reichtum und die Reichen

Als Träger des Reichtums sind vor allem die Einkommens- und Vermögensmillionäre gezählt. In verschiedenen Ranglisten auf nationalen und internationalen Ebenen werden die reichsten der reichen regelmäßig aufgelistet. Das wohl bekannteste Ranking ist die so genannte Forbes Liste der „Richest People of the World“. Auf dieser Liste, aber auch für „The 400 Richest American“, werden nicht nur die Vermögen der Reichen angegeben, sondern auch ihre Wirtschaftsaktivitäten. Nicht ohne Grund, denn nach wie vor ist letztlich die Mehrwertaneignung die Quelle des Reichtums. Auch die Liste der reichsten Deutschen weist unter den ersten 50 nur eine einzige Person auf, die ihren Reichtum nicht mit den Vermögensbeteiligungen an Unternehmen in den verschiedensten Branchen verknüpft. Diese Ausnahme ist der 2006 verstorbene Friedrich Karl Flick, der Haupterbe des Flick-Imperiums. Dass auch das Vermögen des einsamen Erben ein Resultat klassischer Ausbeutung ist, wurde mit der beharrlichen Weigerung zur Entschädigungszahlung an ZwangsarbeiterInnen des Flick-Konzerns im Zweiten Weltkrieg auch in den letzten Jahren immer wieder in Erinnerung gerufen [>>>]. Laut Aussage des früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel in der ARD-Tagesschau vom 06. Oktober 2006 hat Friedrich Karl Flick sich als einer der ganz wenigen Unternehmer in Deutschland nicht an dem Entschädigungsfond für die Zwangsarbeiter der Nazi-Zeit beteiligt. Die Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ wurde von der Bundesregierung und der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft je zur Hälfte mit 10 Milliarden Deutscher Mark ausgestattet, um ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes zu entschädigen. Sie ist eine durch Bundesgesetz geschaffene Stiftung Öffentlichen Rechts mit Sitz in Berlin (Bundesgesetzblatt: BGBl. 2000 I 1263).
Anders als etwa im Bereich der Armutsforschung gibt es nur wenige Studien über die Lebensführung und die Kultur der Reichtumsträger – abgesehen von den Lifstyleberichten in bunten Magazinen.

Einblick in die Welt des Reichtums bieten jedoch die Elitenstudien, die sich den Wechselbeziehungen und Netzwerken der Wert-, Funktions- und Machteliten widmen. Einen guten Überblick in die akademischen Debatten zu diesem Thema bieten die Zeitschrift Berliner Debatte INITIAL 11 (2000) und das KURSBUCH 139: Die neuen Eliten (Rowohlt, 2000). Weiterführend lohnt sich auch eine Betrachtung der Organisationsformen der Eliten in Clubs, Bünden, und Instituten. Die Bilderberg-Konferenzen sind dabei nur die bekannteste. Ausführliche Informationen finden sich auf der schrill gestalteten Seite des ehemaligen BBC-Journalisten Tony Gosling [>>>]. Unter die bundesdeutschen Ansätze der Selbstorganisation des Eigentums und des Reichtums fallen zunächst die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände und die Alfred Herrhausen Gesellschaft der Deutschen Bank.

Reichtum und Armut

Reichtum und Armut werden als Pole der Verteilungsungerechtigkeit als gesellschaftliche Gegensätze wahrgenommen. In dieser Gegensätzlichkeit spiegelt sich vor allem der gesellschaftliche Charakter des Reichtums als Ausdruck der privaten Aneignung wider. Denn abstrakter gesellschaftlicher Reichtum ist nicht notwendig dem Nullsummenspiel der Ausbeutung unterworfen. Erst mit der ungleichen Aneignung entstehen Armut und Reichtum.

Die ungleiche Einkommensverteilung, also Polarisierung der Sozialstruktur in Arme und Reiche, wird in vielen sozialwissenschaftlichen Studien zum Maßstab der Beschreibung von sozialen Verhältnisse herangezogen. Mit verschiedenen statistischen Methoden kann dabei die Einkommensverteilung in unterschiedlichen Ländern und Regionen verglichen werden. Der Gini-Koeffizient [>>>] ist dabei die vielleicht bekannteste Berechnungsmethode – doch eine Vielzahl anderer Modelle hat eine regelrechte „Mathematik der Ungleichheit“ hervorgebracht [>>>].

Einen praktischen Niederschlag finden solche Modelle in der Sozialberichtserstattung. So belegen die 2001 und 2005 von der Bundesregierung herausgegebenen Armuts- und Reichtumsberichte mit reichlich Zahlenmaterial die wachsende soziale Polarisierung. Einen guten Überblick zu weiteren Studien und Daten für den bundesdeutschen Kontext bietet das Landesinstitut für Schule/Qualitätsagentur in NRW auf ihren Webseiten [>>>].

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