Widmer, Verein Neustart Schweiz (Hrsg.): „The Power of Neighbourhood” und die Commons (Rezension)

Rezi_Neustart

Von Peter Streiff
Für sein Konzept von miteinander verflochtenen Nachbarschaften ist der Schweizer Autor P.M. mit verschiedenen Büchern seit Jahren bekannt. „Bolo`bolo“ nannte er 1983 den ersten Entwurf und in „subcoma“ entwarf er zur Jahrtausendwende eine nachhaltige Versorgung, die auf der Kooperation einer städtischen Nachbarschaft aus etwa 500 Personen mit einem nahen Bauernhof besteht. Aktuell legt er nun – als Ergebnis seiner Lesereise mit dem neuen Buch „Kartoffeln und Computer, Märkte durch Gemeinschaften ersetzen“ – eine neue Broschüre (PDF) vor:
Die „Kraft von Nachbarschaften und die Allmende“, wie die deutsche Übersetzung lauten könnte, liest sich als optimistisches Plädoyer für eine grundsätzliche Neustrukturierung der Gesellschaft: „Multifunktionale Nachbarschaften bieten einen idealen Rahmen für Selbstorganisation und erlauben es den Menschen, ihre vielfältigen Talente einzubringen. Das Leben kann vielfältiger, sicherer, freier, selbstbestimmter und schöner werden, ohne dass wir den Planeten und uns selbst zu Grunde richten.“
Dabei verzichtet der Autor, der ungewöhnlicherweise unter seinem bürgerlichen Namen schreibt, weitgehend auf komplexe ökonomische Zusammenhänge, sondern setzt bei der leicht nachvollziehbaren Organisation des Alltags von Nachbarschaften an. Wie das Titelbild verdeutlicht, soll eine Nachbarschaft unter dichten urbanen Bedingungen etwa so groß sein wie das Revier einer Katze und eine eigene Versorgung mit in der näheren Umgebung erzeugten Lebensmitteln gewährleisten. Neben einem großen Lebensmitteldepot, einer Großküche sowie Restaurants und Bars soll es beispielsweise auch Bibliothek, Reparaturservice, Wäscherei, Gästehaus, Bad, Geräteverleih und Kinderparadies geben.
Der Autor bleibt jedoch nicht bei den Beschreibungen des bereits gelebten Alltags stehen, sondern er führt auch zwei aktuelle gesellschaftliche Diskussionsstränge zusammen. Zum einen greift er verschiedene Alternativen zur Wachstumsgesellschaft auf und versteht seine Subsistenzperspektive als Kritik am Patriarchat, wobei es ihm unter anderem um eine neue und souveräne Haltung im Umgang mit Ernährung und Landwirtschaft geht. Im zweiten, „traditionellen marxistischen und ökonomischen“ Strang diskutiert er unterschiedliche Ansätze beispielsweise von Robert Kurz, Elinor Ostrom, Niko Paech und David Graeber und kommt zum Schluss, dass „das Verhältnis der Städte zu ihrem Umland und die Strukturierung der Städte selbst ein entscheidender Faktor bei der Umgestaltung unserer Gesellschaften“ sei.
Mit der vorliegenden Broschüre gelingt dem Autor – wieder einmal – der Spagat, die großen ökonomischen Zusammenhänge herzustellen und nichts weniger als die Abschaffung der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen als notwendig vorauszusetzen sowie gleichzeitig alltagsnahe und damit nachvollziehbare Alternativen vorzustellen. Das Thema Nachbarschaft mit aktuellen Bezügen weiterhin aufzugreifen, bedeute für ihn „eine umfassende Markt-, Geld- und Eigentumskritik in ein machbares Projekt umzumünzen.“ Die Broschüre ist nicht nur leicht lesbar, sondern kann dank übersichtlicher Gliederung gut als Diskussionsgrundlage in interessierten Arbeitsgruppen dienen.

Hans E. Widmer, Verein Neustart Schweiz (Hrsg.): „The Power of Neighbourhood” und die Commons. April 2013, 48 S., Download (Creative Commons Lizenz «BY ND 3.0») unter www.neustartschweiz.ch
Bezug der gedruckten Fassung: kontakt(ätt)neustartschweiz.ch

Dieser Text erschien zuerst in CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation, Ausgabe 351 (Dezember 2013).

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