Krisenproteste in Spanien [Rezension]

huke_coverVon Elisabeth Voss

Nikolai Huke untersucht Krisenproteste und soziale Bewegungen in Spanien seit den Platzbesetzungen der Indignados (Empörten), die erstmals am 15. Mai 2011 in vielen Städten stattfanden. Die daraus entstandene Bewegung 15-M formulierte ein lautstarkes „Nein“ zum Bestehenden, forderte echte Demokratie und ein Leben in Würde. Ihre soziale Basis waren überwiegend junge, prekarisierte Menschen aus der Mittelschicht, deren Lebensträume angesichts der Krise zerplatzt sind. Detailreich werden die Bemühungen um andere politische Formen geschildert, der Versuch, durch horizontale Organisierung in Versammlungen (Asambleas) und mittels Digitaltechnik alle mitzunehmen. Auch die daraus mitunter resultierende Selbstüberforderung, Ausgrenzungen und Richtungsstreit werden nicht verschwiegen.

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Dorf gefällig?

Der Trend geht weg von Eigenheim oder Eigentumswohnung und hin zu Eigendorf oder Eigenweiler. In Spanien können vom Katasteramt erfasste Dörfer, Siedlungen, Häuser, Weiler und dazugehörige Grundstücke (noch) günstig gekauft werden (Aargauer Zeitung, Immobilienteil der Süddeutschen Zeitung 5.12.2014). Die Menschen, die dort lebten/leben, sind nicht mehr anwesend, wohnen und leben gerade woanders. Die Dörfer und Weiler liegen in abgeschiedeneren Gebirgszügen, ganz in der Nähe vom Jakobsweg, dem Meer oder am Rande von Naturparks. Interessant daran ist nicht nur der Preis, sondern die neue Variante des Erwerbs. Weiterlesen

Gesund in Madrid

25_09_2012_#25sramonserra_5
Fotomovimiento

Interessant und verblüffend, wie massivem Privatisierungsdruck im Bereich öffentlicher Versorgung der menschlichen Grundbedürfnisse Einhalt geboten werden kann: In Madrid, Spanien, hat ein Gericht zum zweiten Mal die Privatisierung von sechs Krankenhäusern verhindert.

El juzgado de lo Contencioso Administrativo 4 de Madrid ha paralizado de forma cautelar y para “proteger derechos fundamentales” el cambio de titularidad que el Gobierno regional de Madrid impulsó en los centros a lo largo del último año y culminó en agosto pese a tener varios procesos judiciales abiertos (el pais).

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Die Solidarität der Schlüsseldienste

CC BY-NC-SA 2.0
Schlüssel
foto cc: Songkran

In Pamplona, Spanien, beteiligen sich die Schlüsseldienste nicht mehr an Zwangräumungen. Wie das? Sie weigern sich, Schlösser aufzubrechen.

Alle Schlüsseldienste Pamplonas haben gemeinsam beschlossen, den “Service” Wohnungen zur Räumung aufzubrechen, künftig zu verweigern. Sie reihen sich damit in die wachsende Zahl jener Menschen ein, die eben nicht mehr “ihre Pflicht tun” oder wie solche Entschuldigungen sonst immer lauten (labournet).

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Die Toten der Finanzkrise

Kolovrechtis, Insel Euböa
Für viele Menschen in Griechenland bedeutet die Finanz- und Wirtschaftskrise Verelendung. Allerdings bringt der kontinuierliche und systematische Abbau von Sozialleistungen und Grundversorgung auch Tote mit sich. Es fällt schwer, diese nicht als einkalkulierte Verluste der durch die Troika erzwungenen Strukturanpassungen zu sehen („Kollateralschäden“). Was wäre das aber anderes als Mord? Weiterlesen

Brauchen Krisenproteste MartyrerInnen?!

In Spanien hat sich die sozialistische Kommunalpolitikerin Amaya Egaña anläßlich der Zwangsräumung der Wohnung ihrer Familie aus dem Fenster gestürzt und damit selbst getötet (einzig das Handelsblatt ging mit einem eigenen Bericht über die Verteilung der Agenturmeldung hinaus). Es handelt sich hierbei nicht um den ersten Selbstmord angesichts Zwangsräumung. Selbst die spanische Polizeigewerkschaft bezieht Position und sichert ihren knapp 30.000 Mitgliedern juristischen Beistand zu, falls sie sich weigerten, Zwangsräumungen durchzusetzen.

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Open Source Transformation: Behörden werden Peers

In Italien ist der Kauf proprietärer Software den Behörden neuerdings nur noch in Ausnahmefällen erlaubt, und zwar wenn eine technische und ökonomische Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass weder bereits selbst entwickelte Software noch eine Open-Source-Lösung den gewünschten Zweck zu einem niedrigeren Preis erfüllen kann. In Frankreich erlässt der Ministerpräsident eine ähnliche Maßnahme: Die Behörden auf allen Ebenen sind aufgefordert, wo immer möglich Open-Source-Software zu verwenden. Bei der Anschaffung und Entwicklung neuer Programme oder Programmversionen sollten freie Alternativen systematisch mit einbezogen werden. Hier geht es ausdrücklich um mehr als nur die billigere Software-Lösung: Der französische Regierungschef empfiehlt seinen Verwaltungen, Open-Source-Know-how aufzubauen, mit Communities zusammenzuarbeiten und selbst entwickelten Programmcode zu Projekten beizutragen. Auch in Spanien und in Island gibt es Open-Source-Initiativen in der öffentlichen Verwaltung. In Deutschland arbeiten Sachverständige im Bundestag daran, wenigstens die systematische Benachteiligung von Open Source – etwa durch das Vergaberecht – abzubauen. Weiterlesen

Studie: Die Reorganisation des öffentlichen Sektors in Spanien

cover.jpgSchon vor einem Jahr hat Christina Deckwirth einen Überblick über Privatisierungen europaweit im Linksnet gegeben. Jetzt hat das Marburger FEI mit einer neuen Studie nachgelegt: FEI-Studie Nr. 26: Finanzialisierung, Europäisierung, Transnationalisierung: Die Reorganisation des öffentlichen Sektors in Spanien, Autor: Daniel Seikel, 111 Seiten, UKB 12 EUR

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Privatisierungsfolgen bei der kaempfenden Truppe

In seinem Jahresbericht 2006 übte der Wehrbeauftragte des Bundestages Robbe scharfe Kritik an den Einsatzbedingungen während der Kongo-Mission. Die Zustände vor allem im Feldlager in Kinshasa seien teilweise „verheerend“ gewesen.
Die private Firma „Ucalsa“ (Spanien) – http://www.ucalsa.com/index_en.php -, die mit dem Aufbau des Lagers beauftragt worden war, sei offenbar überfordert gewesen: „Die von ihr errichteten Zelte waren undicht, setzten Schimmel an und hatten keinen Insektenschutz.“ Eine Fäkaliengrube sei nach starkem Regen mehrfach übergelaufen und habe die Zelte überschwemmt.
Robbe warnte davor, die bewährten Standards für Schutz und Sicherheit der Soldaten anzutasten. Die Fürsorgepflicht gelte uneingeschränkt, „ganz besonders im Einsatz.“ Für den Kongo-Einsatz forderte er eine umfassende Fehleranalyse. Die Frage, was eine verfassungsmäßig der Landesverteidigung verpflichtete Armee im Herzen Afrikas verloren habe, warf er allerdings nicht auf.
Quellen:
Tagesschau http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6534266,00.html
Bundestag http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2007/wehrbeauftragter/index.html

Widerstaende gegen Wasserprivatisierung/weiter FDCL-Veranstaltungen

Öku-Büro München und FDCL laden ein: „Wasser ist keine Ware! Widerstand gegen Privatisierung und Megaprojekte in El Salvador“ in Berlin und München.
mehr: http://www.fdcl-berlin.de/index.php?id=742

Vortrag mit Diskussion mit
Wilfredo Romero arbeitet im Wartungsdienst des staatlichen Wasserversorgers ANDA. Er ist langjähriges Mitglied der Gewerkschaft S.E.T.A (Sindicato de Empresa Trabajadores de ANDA) und hatte verschiedene Funktionen innerhalb der Gewerkschaftsleitung inne. Zur Zeit ist er Generalsekretaer von S.E.T.A. .

Luis Rivera ist Campesino und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Parroquia San Antonio del Mosco. Er ist aktiv in der Koordination des Widerstands gegen das geplante Staudammprojekt El Chaparral beim Río Torola im Nordosten El Salvadors.

Ort: Mehringhof (Versammlungsraum), Gneisenaustr.2a, 10 961 Berlin
Zeit: Donnerstag, 02.11.2006 um 19:00 Uhr
und
Öku-Büro München und attaCafé und FDCL laden ein:
Ort: attaCafé, Dieffenbachstrasse 63
Zeit: Freitag, 03.11.2006 um 19:00 Uhr

Seit einigen Jahren können wir weltweit Konflikte um die Kommerzialisierung und Privatisierung von Wasser verfolgen. Unter dem Druck knapper werden Ressourcen versuchen internationale Finanzorganisationen und Konzerne ein Gut von weltweit strategischer Bedeutung unter ihre Kontrolle zu bringen.
Nicht neu ist, dass die Folgen solcher Entwicklungen generell mehr zu Lasten des Südens gehen. Am Beispiel El Salvador wollen wir untersuchen, wie diese internationalen Entwicklungen sich vor Ort auswirken und auf welche Widerstandsmöglichkeiten die Bevölkerung zurückgreift. Wilfredo Romero, Gewerkschafter des nationalen Wasserunternehmens ANDA und Luis Rivera, Aktivist im Widerstand gegen das geplante Staudammprojekt El Chaparral werden über die Auseinandersetzungen um Staudammprojekte und die drohende Wasserprivatisierung berichten.
Gemeinsam wollen wir außerdem diskutieren, welche Rolle dabei die internationalen Finanzinstitutionen und der umstrittene neoliberale Entwicklungsplan Plan Puebla Panamá spielen.

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Politische Gewalt, Korruption und Demokratie in Peru. Vortrag und Diskussion mit Mariano Paliza (Journalist)

Ort: FDCL, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, 3. Aufgang, 5. Stock
Zeit: Freitag, 03.11.2006 um 19:00 Uhr

Von der Unabhängigkeit, über die Herrschaft der Großgrundbesitzer, bis hin zur Bürgerbewegung der letzten Jahre war Peru von einigen wenigen zivil-militärischen Machtgruppen beherrscht, die den Staatapparat zur Beute ihrer Partikularinteressen machten.
Obwohl die Verfassung von 1979 die demokratischste der peruanischen Geschichte war, systematisierte und begründete sie auch die bis dahin schon vorhandene Vormachtstellung der Streitkräfte und ihr Ideensystem, indem sie ihre politische Rolle grundgesetzlich mit der Schaffung der „Sistema Nacional de Defensa“ anerkannte und damit den Weg bahnte für einer Art „Militarismus des 21. Jahrhunderts“.
Dessen erstes Produkt war die in zivil-militärischem Gewande auftretetende Diktatur unter Präsident Alberto Fujimori. Ergänzt wurde dieses Modell durch die Militärische Verfassung von 1993.
Zum Umbruch des neuen Millenniums nahm das peruanische Volk die Plätze und Straßen ein und stürzte das Fujimori-Regime auf der Suche nach einer gerechteren und demokratischeren Gesellschaft. Zwar gelang es der peruanischgen Gesellschaft nach der Flucht und Absetzung Fujimoris im November 2000 unter der Übergangsregierung („Gobierno de Transición“) von Valentin Paniagua ein paar kleine Schritte in Richtung demokratischerer Verhältnisse zu unternehmen. Doch mit der opportunistischen Regierung von Alejandro Toledo kam dieser demokratische Aufbruch schon bald zum Stillstand.
Eine der wichtigsten Initiativen in der Regierungszeit von Übergangspräsidenten Valentin Paniagua war die Einsetzung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission im Juni 2001, mit der die Menschenrechtsverletzungen in den Jahren von 1980 bis 2000 aufgeklärt werden sollten. Vermutlich mehr als 60.000 Tote, unzählige Opfer von Folter, Entführungen und „Verschwindenlassen“ sind die traurige Bilanz von 20 Jahren politischer Gewalt und Terror in Peru. Mehr als 600.000 Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben und leben noch heute als Flüchtlinge im eigenen Land.
Eine der bedeutende Leistung der Wahrheitskommission, deren Schlussbericht im August 2003 fertig gestellt worden war, ist, abgesehen von der Erfassung der Gewalt in Peru in den letzten Jahrzehnten, ihre Diagnose über das Fehlen eines „Grundvertrages“ der peruanischen Gesellschaft.
Wie wird Alan Garcia, der neue Präsident Perus mit diesem Erbe umgehen? Die ersten 100 Tage der neuen Regierung Garcias lassen nichts Gutes ahnen, erklärte doch Garcia die Wiedereinführung der Todesstraffe in Peru zur nationalen Priorität.

Veranstalter:
Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem FDCL e.V.
Diese Veranstaltung wird realisiert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
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Lesereise von Paco Ignacio Taibo II

Paco Ignacio Taibo II, Begründer des neuen mexikanischen Kriminalromans und Biograf Che Guevaras, wird im Rahmen einer bundesweiten Lesereise in Deutschland zu Gast sein.
Er wird seine zuletzt erschienenen literarischen Werke vorstellen: den Roman Die Rückkehr der Schatten, der vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs den Machenschaften deutscher Nazis in Mexiko nachgeht, sowie den gemeinsam mit Subcomandante Marcos verfassten Krimi Unbequeme Tote, in dem Héctor Belascoarán Shayne, unabhängiger Detektiv in Mexiko-Stadt, und Elías Contreras, »Ermittlungskommission« der EZLN, einer Spur folgen, die in die Zeit des schmutzigen Krieges zurückreicht.
Darüber hinaus wird Paco Ignacio Taibo II für Fragen zu den aktuellen sozialen Auseinandersetzungen in Mexiko zur Verfügung stehen.

Zeit: Montag, den 20. November um 20:00 Uhr
Ort: Im Mehringhof (Versammlungsraum, 1.St. links)
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin (U-Bhf. Mehringdamm U6/U7)
Veranstalter: Buchladen Schwarze Risse in Kooperation mit Lateinamerika Nachrichten und FDCL
Kontakt: Buchladen Schwarze Risse, Tel.: 030-6928779, mehringhof@schwarzerisse.de

Kontakt für die Lesereise (Nürnberg, 15.11.; München, 16.11.; Heidelberg, 17. 11.):
Theo Bruns, Tel.: 040-80609208, E-Mail: theobruns@t-online.de

Bücher des Autors bei Assoziation A:
Taibo II, Paco Ignacio: 1968 und Gerufene Helden
Taibo II, Paco Ignacio: Erzengel
Taibo II, Paco Ignacio: Vier Hände
Taibo II, Paco Ignacio: Die Rückkehr der Schatten
Marcos | Taibo II: Unbequeme Tote

Informationen zu Paco Ignacio Taibo II:
Paco Ignacio Taibo II wurde 1949 in Gijon/Spanien geboren und emigrierte im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Mexiko. Er studierte Literatur, Soziologie und Geschichte ohne Abschlüsse und arbeitete als Journalist, Universitätsdozent und Sachautor. Als Schriftsteller weltweit bekannt wurde er durch seinen „unabhängigen“ Detektiv Hector Belascoarán Shayne, der in der Bundeshauptstadt Mexico-Stadt seine Fälle bearbeitet, sowie durch seine Biografie des Ernesto Che Guevara.
Taibo ist Mitbegründer der Internationalen Vereinigung der Krimischriftsteller und Organisator der Semana Negra, einem jährlichen internationalen Krimifestival in Gijon, mit Lesungen, Kulturprogramm und Hunderttausenden Besuchern.
Umfassende Informationen zur Bio-Bibliografie Taibos finden sich auf einer Website der Alligatorpapiere. Eine weitere ausführliche Website zur Person gibt es in spanischer und italienischer Sprache bei vespito.net

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FDCL
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
Centro de Investigación y Documentación Chile-América Latina
Centro de Pesquisa e Documentação Chile-América Latina
Research and Documentation Center Chile-Latin America
Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin, Alemania, Alemanha
Fon: 49-(0)30-693 40 29
Fax: 49-(0)30-692 65 90
email: fdcl-berlin(at)t-online.de

Weitere Informationen unter
http://www.fdcl.org

"Die Maerkte warten nur darauf" – Baukonzerne und Finanziers aus dem In- und Ausland wollen Autobahnen uebernehmen

Düsseldorf/Berlin – Die Einschläge kommen näher für Deutschlands Pkw-Fahrer: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage diskutiert das politische Berlin jetzt die Einführung einer Pkw-Maut beziehungsweise eine Autobahn-Privatisierung. In der vergangenen Woche hatten die Landesverkehrsminister das Maut-Projekt noch abgelehnt. Am Wochenende nun erklärte der designierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), er müsse die Autobahnprivatisierung „prüfen, ich bin noch nicht festgelegt“. Noch, so scheint es, will keiner raus mit der Wahrheit. Und doch werden sich die deutschen Autofahrer mittelfristig wohl von ihren rein steuerfinanzierten Schnellwegen verabschieden müssen – genau so, wie das viele westeuropäische Nachbarn längst getan haben.
Zum einen fehlt dem Staat das Geld für die Instandhaltung und den Ausbau des Autobahnnetzes. Zum anderen könnte der Verkauf des nach Expertenschätzungen 127 Mrd. Euro wertvollen Netzes die Staatsschulden und damit auch die Zinszahlungen erheblich drücken – um bis zu sechs Mrd. Euro jährlich, heißt es. Interessenten, die die Straßen kaufen, sanieren oder erweitern und per Maut refinanzieren wollen, gibt es reichlich, vor allem aus der Bauindustrie und der Finanzbranche. „Die Märkte im In- und Ausland warten nur darauf“, meint Friedrich Ludwig Hausmann, Partner der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die sich seit Jahren mit Infrastruktur-Privatisierung beschäftigt.
Welcher klamme Finanzminister kann da lange widerstehen? Sozialdemokrat Peer Steinbrück jedenfalls ist aus seiner Zeit als Kassenwart in den Landeskabinetten in Kiel und Düsseldorf sowie später als NRW-Ministerpräsident als jemand bekannt, der keine Berührungsängste mit der Privatwirtschaft hat.
Neben den deutschen Groß- und Landesbanken kämen ausländische Finanzkonzerne wie Barclays, BNP Paribas oder Goldman Sachs in Frage, auch Infrastrukturspezialisten wie die Royal Bank of Scotland oder die Royal Bank of Canada oder die umtriebige australische Mcacquarie-Bank, die bereits an der privat finanzierten Warnow-Querung bei Rostock beteiligt ist. Auch internationale Fonds zeigen Interesse – schließlich verspricht das „Transitland“ Deutschland verläßliche Einnahmen. Bisher dürfen freilich offene Immobilienfonds nur in sehr beschränktem Ausmaß in die Finanzierung solcher Projekte einsteigen.
Die Bauindustrie wünscht sich seit langem einen Umschwung in der Infrastruktur-Politik: Hochtief, Bilfinger Berger oder Strabag – alle würden ihre Maut-Erfahrungen aus dem Ausland (Nordamerika, Australien, Asien) nur zu gern auf dem Heimmarkt einsetzen und wären wohl bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen. „Die Einführung einer Maut müßte aber mit einer Absegnung der Kfz- und Mineralölsteuer einhergehen“, sagen Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel und Herbert Bodner, Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger, unisono. Die Baukonzerne versprechen sich Milliardengeschäfte mit jahrelang weitgehend gesichertem Cash Flow aus fließendem – selbst aus stehendem – Verkehr.
Zumindest in der Bauphase könnten auch Tausende kleinere und mittlere Zulieferunternehmen von den Aufträgen für die Großen profitieren: Patrick Adenauer jedenfalls, Präsident der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmen (ASU), jubiliert: „Eine Privatisierung der Autobahnen würde einen gewaltige Investitions-, Wachstums- und Beschäftigungsschub auslösen“.
Seit wenigen Jahren sind in Deutschland solche Projekte im Hochbau möglich, etwa für die Sanierung und den baulichen Betrieb von Schulen oder Gefängnissen: Der Bereich zählt zu den Wachstumssparten der Bauindustrie. Würde das Modell auf Autobahnen übertragen, stünden auch ausländische Bewerber am Start, etwa die französischen Baukonzerne Vinci und Eiffage. Vinci hält bereits 23 Prozent am Autobahnbetreiber Autoroutes du Sud (ASF) und ist unter anderem mit „Teerbau“ im deutschen Straßenbau vertreten. Sowohl Vinci und Eiffage haben jetzt für die drei Autobahnen in Frankreich geboten, die komplett privatisiert werden sollen. Auch Cofiroute könnte Interesse haben: Die Gesellschaft ist Mitglied im Konsortium von Toll Collect, das die deutsche LKW-Maut eintreibt.
Aus Italien könnten die Benettons mit ihrer expansionsfreudigen Autobahngesellschaft Autostrade ins Geschäft drängen. „Ein Unternehmen wie Autostrade ist immer aufmerksam, wenn sich etwas im Ausland tut“, so CEO Vito Gamberale. Der mit 3408 Streckenkilometern größte europäische Autobahnbetreiber „Autostrade per l’Italia Spa“ bietet mit einem italienisch-französischen Konsortium bereits für die Autobahn Paris-Rhones.
Beim Bieter-Wettstreit in Frankreich sind auch Spanier vertreten. Die Baugruppe Sacyr Vallehermoso wird unter anderem die Brücke über die Meeresenge von Messina bauen. „Wir suchen überall Chancen“, so ein Sprecher von Albertis, das in Spanien 1500 Kilometer Mautstrecken betreibt. Dazu käme die zum Baukonzern Ferrovial gehörende Cintra, die 16 Autobahnen weltweit betreibt.
Wie der Umstieg vom staatlichen auf ein privates Autobahnnetz konkret ablaufen könnte, ist noch unklar. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie arbeitet seit Monaten an einem konkreten Vorschlag. Anfang November soll das Papier fertig sein. In den Konzernen ist zu hören, daß die Vergabe einzelner Strecken wirtschaftlich wenig Sinn macht. Um das Risiko besser zu streuen und eine Mischkalkulation von teuren und billigeren Strecken zu ermöglichen, favorisieren viele in der Branche die Vergabe größerer Netze an einen Betreiber oder ein Betreiberkonsortium. Möglicherweise einschließlich der Bundesstraßen – um mögliche Ausweichrouten dicht machen zu können.
Wahrscheinlich würde der Systemwechsel schrittweise erfolgen, von einzelnen Strecken hin zu Netzen. Dabei dürften als erstes an den am stärksten befahrenen Strecken Maut-Häuschen oder -Brücken aufgestellt werden: auf Teilen der A1 in NRW, an der A3 rund um Frankfurt und die A8 bei München. Der gefürchtete Alb-Aufstieg der A8 wird bereits als sogenanntes privatisiertes „F-Modell“ geplant, als Maut-Insellösung. Bisher gibt es zwei derartige Projekte in Deutschland: die Warnow-Querung und den Herrentunnel in Lübeck.
„Die Autobahn-Privatisierung muß gar nicht zwangsläufig die Einführung einer Pkw-Maut zur Folge haben“, meint Jurist Hausmann. Nach britischem Vorbild wäre eine „Schattenmaut“ vorstellbar: Der private Investor, der ein Stück Autobahn gekauft oder für 25 Jahre gepachtet hat, bekommt vom Staat für jedes registrierte Auto eine Gebühr, die wie bisher aus Steuern finanziert wird. Der Autofahrer bräuchte weder Kleingeld noch Maut-Vignette. Hausmann:“Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein solches System, bei dem der Staat die Straßen behält, die dann ein Privater betreibt, sind verhältnismäßig leicht zu schaffen.“
Hagen Seidel in: Die Welt, 18.10.2005
Mitarbeit: Ute Müller, Karsten Seibel, Barbara Wörmann, Gesche Wüpper