"Privatisierung in der EU": Konferenz WSI und Forschungsgruppe Europaeische Integration

Das WSI in der Hans-Böckler-Stiftung und der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) an der Universität Marburg laden zu einer gemeinsamen Konferenz „Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck? Die Reorganisation der öffentlichen Infrastruktursektoren in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ am 29./30. Juni 2007 in Marburg ein.

Anmeldung bei Kathrin Drews (FEI) unter: Drewsk@students.uni-marburg.de oder Mobil: 0151/15219823

Worum geht es?
Was sind die Triebkräfte und Auswirkungen von Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa?
In der Europäischen Union werden seit den 1990er Jahren öffentliche Dienstleistungen zunehmend von Privatunternehmen angeboten. Dabei werden Privatisierungen einerseits durch Liberalisierungen des EU-Binnenmarktes beschleunigt, andererseits werden sie aber auch unabhängig davon auf Bundes- und lokaler Eben mit dem Hinweis auf Haushaltsengpässe vorangetrieben. Teils handelt es sich um den Verkauf öffentlichen Eigentums. Insbesondere auf lokaler Ebene geht es auch um „Private Public Partnerships“ (bzw. ÖPP), bei denen unter zur Hilfenahme von Privaten die hoheitliche Erfüllungsverantwortung für Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge unangetastet bleiben soll. Das Privatisierungsargument lautet zumeist, dass Effizienzvorteile entstehen, von denen beide Seiten und Verbraucher profitieren könnten.
Was aber ist genau mit Effizienz gemeint? Etwa geringere Ausgaben und Schuldenabbau für die öffentliche Hand, niedrigere Preise und mehr Qualität für Verbraucher sowie Aktionärsgewinne? Gibt es tatsächlich Sektorbeispiele in Europa, in denen dies zutreffend ist? Was sind die Konsequenzen für die demokratische Steuerung privatisierter Dienstleistungen, Arbeitsbedingungen, Tarifpolitik und Umwelt insgesamt?

Auf der gemeinsamen Konferenz des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) an der Philipps-Universität Marburg werden neben Vorträgen zu polit-ökonomischen Triebkräften und Instrumenten der Reorganisation öffentlicher Dienstleistungen auf EU-Ebene vier parallele Workshops zur Liberalisierung und Privatisierung im Post-, Bahn- und ÖPNV-, Krankenhaus- und Energiesektor im europäischen Vergleich durchgeführt. Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen werden beleuchtet und politische Strategien sowie Perspektiven des öffentlichen Sektors mit WissenschaftlerInnen, GewerkschafterInnen und VertreterInnen aus sozialen Bewegungen – aus nationaler und europäischer Perspektive – diskutiert.

Tagungsprogramm

* Freitag, 29. Juni 2007

11:00-11:15
Begrüßung und Einführung durch die Veranstalter (Thorsten Schulten, WSI; Hans-Jürgen Bieling, FEI)

11:15-13:00
Polit-ökonomische Faktoren und Triebkräfte europäischer Privatisierungsprozesse (Joachim Bischoff, Memorandum-Gruppe)
Die Genese öffentlicher Dienstleistungen in der Europäischen Union: Ein historischer Überblick (Gerold Ambrosius, Uni Siegen)

14:00-15:00
Europäische Initiativen und Instrumente zur Reorganisation öffentlicher Dienstleistungen (Klaus Dräger, EP)

15:15-17:00
Vier parallele Workshops zur Liberalisierung und Privatisierung verschiedener Sektoren im europäischen Vergleich (europäische Überblicks- und einzelne Länderinputs)

a) Post:
Liberalisierung des Postsektors – ein europäischer Überblick (Kathrin Drews, FEI/Torsten Brandt, WSI)
Private Post-Konzerne in Deutschland: Beispiel Pin AG (Benedikt Frank, Verdi Berlin)

b) Bahn und ÖPNV:
Privatisierung von Bahn und ÖPNV – ein europäischer Überblick (Christoph Herrmann, Forba)
Privatisierungsbestrebungen bei der Deutschen Bahn – ein Rück- und Ausblick (Stefan Diefenbach-Trommer, Pressesprecher „Bahn für Alle“)

c) Krankenhäuser:
Privatisierung von Krankenhäusern – ein europäischer Überblick (Thorsten Schulten, WSI)
Privatisierung des Uni-Klinikums Marburg Gießen (Fabian Rehm, Verdi Frankfurt)

d) Energie:
Liberalisierung des Energiesektors – ein europäischer Überblick (Reinhard Klopfleisch, Verdi Bundesvorstand)
Der Energiesektor Frankreichs (Jens Beckmann, FEI)

17:15-18:15
Trends im europäischen Privatisierungsprozess – Ergebnisse des Projektes „Die Reorganisation der öffentlichen Infrastruktur in der EU“ (Christina Deckwirth, FEI)

* Samstag, 30. Juni 2007

10:00-11:00
Folgen der Privatisierung für Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen (Torsten Brandt/Thorsten Schulten, WSI)

11:15-13:00
Gewerkschaftliche Handlungsoptionen und Proteste sozialer Bewegungen
Erfahrungen und Diskussionen in den Gewerkschaften (Werner Sauerborn, Verdi LBZ Baden-Württemberg)
Strategien und Initiativen der globalisierungskritischen Bewegung (Alexandra Strickner, Attac Österreich)
Volksbegehren gegen Privatisierung (Volker Mittendorf, Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie Marburg)

14:00-15:00
Perspektiven der „mixed economy“ und des öffentlichen Sektors in Europa? Abschlussdiskussion mit Inputs von
* Frank Deppe, FEI
* Joachim Bischoff, Memorandum-Gruppe
* Alexandra Strickner, Attac Österreich
* Klaus Dräger, EP
* Richard Pond, EGÖD

Anmeldung und weitere Informationen bei Kathrin Drews (FEI) unter: Drewsk@students.uni-marburg.de oder Mobil: 0151/15219823

Studie: Leistungen der Daseinsvorsorge im Gemeinschaftsrecht der EU

Freier Wettbewerb oder öffentliche Aufgabe? fragt Markus Krajewski
Die Studie will die verschiedenen Facetten des Rechts der öffentlichen Dienstleistungen in Europa aufzeigen und problematisieren. Zunächst werden die spezifischen Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit öffentlichen Dienstleistungen genutzt werden, diskutiert und kritisch hinterfragt. Danach werden die Schlüsselnormen des Primärrechts einschließlich der Charta der Grundrechte und des Verfassungsvertrages näher beleuchtet. Dem folgt die Darstellung von drei „Baustellen“ des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, die durch Sekundärrecht und Rechtsprechung geschaffen wurden: Die Liberalisierungsprogramme für Schlüsselsektoren wie Telekommunikation, Energie und Post, die beihilfenrechtliche Bewertung von Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und die vergaberechtliche Einordnung der Übertragung von öffentlichen Dienstleistungen auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen. Anschließend wird die aktuelle Diskussion um eine Rahmen-RL für öffentliche Dienstleistungen vorgestellt und einige zentrale Rechtsfragen einer solchen Richtlinie erörtert. Ein kurzes Fazit schließt den Beitrag.

Der Volltext als pdf:

Verdi und Hans-Boeckler laden ein:

Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa – und ihre Folgen für die Tarifpolitik
4.Workshop Europäische Tarifpolitik vom 5. bis 6. Juni 2007 in Berlin

Seit den 1990er Jahren lässt sich überall in Europa ein deutlicher Trend hin zur Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen beobachten. Ob Post, Telekommunikation, Stromversorgung, öffentlicher Nahverkehr, Entsorgung, Krankenhäuser usw. – immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge werden dem Einflussbereich des Staates entzogen und den Regeln des „freien Marktes“ unterworfen. Damit verbunden ist das Versprechen von mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit, niedrigeren Preisen sowie einer besseren Qualität und Service für die Kunden.

Wir alle können im Alltag feststellen, wie wenig diese Versprechen mit der Realität zu tun haben. Nicht selten tritt sogar das genaue Gegenteil ein. Die Dienstleistungen werden teurer und der Service keineswegs besser. In jedem Fall geht die Liberalisierung und Privatisierung vor allem auf Kosten der Beschäftigten: Arbeitsplätze werden abgebaut und Arbeitsbedingungen verschlechtert. Neue Arbeitsplätze – sofern sie überhaupt entstehen – sind oft hochgradig prekär und bestehen vor allem aus schlecht bezahlten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen.

Die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat auch weit reichende Konsequenzen für die Tarifpolitik. Die Bindung dieser Branchen an die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst wird zunehmend brüchig oder ist bereits ganz aufgelöst. In einigen Branchen sind neue Flächentarifverträge entstanden. In anderen Branchen herrscht dagegen eine recht zerklüftete Tariflandschaft mit einer erheblichen Anzahl nichttarifgebundener Unternehmen.

In dem gemeinsam von dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di organisierten 4. Workshop zur Europäischen Tarifpolitik wollen wir uns deshalb einmal über die Branchen- und Landesgrenzen hinweg mit den Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung auf die Tarifpolitik und gewerkschaftlichen Handlungsalternativen beschäftigen.

Dazu laden wir euch herzlich ein!

Gabriele Sterkel
ver.di, Tarifpolitische Grundsatzabteilung
Thorsten Schulten
WSI in der Hans-Böckler-Stiftung

pdf-Flyer mit Einzelheiten zu Programm und Anmeldung:

Warum die Regierung in Pakistan so "stabil" ist

erklärt sich nicht nur mit Nuklear- und Talibanargumenten. Der Minister für Privatisierung und Investitionen Zahid Hamid erklärte am 10. April 2007 wie nach dem Lehrbuch, dass „Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung die Ecksteine der ökonomischen Reformen“ der Regierung Musharraf seien. In dessen Regierungszeit von 1999 bis 2006 seien von der Privatisierungskommission Privatisierungserlöse in Höhe von 6 Mrd Dollar erzielt worden.“This is indicative not only of the high priority attached to the privatization policy , but the successful manner in which it has been implemented by the present government (…) government has no business to do business” erklärte der Minister. In den letzten 5 Jahren seien die Investitionen aus dem Ausland (FDI) von 322 Mio $ in 2000/1 auf 3,521 Mrd in 2005/6 angestiegen.
http://www.app.com.pk/en/index.php?option=com_content&task=view&id=7480&Itemid=2

Auch in Oesterreich: Lieber reich und gesund als arm und Krank

Ein neues Buch zum Thema Gesundheitsprivatisierung in Österreich im internationalen Vergleich.
Und eine Homepage mit Zeitungsschau zum diesem Thema
http://www.krankegeschaefte.at/zumthema.htm
mit Newsletter.

Warum erhöhen Krankenkassen Selbstbehalte und reduzieren gleichzeitig ihre Leistungen?
Warum haben private Unternehmen wie Baukonzerne, Banken und Versicherungsriesen Interesse Krankenhäuser oder Pflegeheime zu betreiben?

Europas Gesundheitssysteme sind auf dem Weg zu amerikanischen Verhältnissen. Der Staat zieht sich zunehmend aus der Versorgung zurück. Stattdessen besetzen Privatunternehmen Schlüsselpositionen im Gesundheitswesen. Wer es sich leisten kann, bekommt weiterhin eine umfassende Versorgung. Andere müssen warten. Schon jetzt zahlen die Österreicherinnen und Österreicher fast ein Drittel aller Gesundheitsausgaben aus der eigenen Tasche – Tendenz steigend. In Deutschland gehören bereits 20 Prozent aller öffentlichen Krankenhäuser privaten Konzernen, die auch schon in Österreich Fuß gefasst haben.

Kranke Geschäfte mit unserer Gesundheit zeigt diese Entwicklungen im internationalen Vergleich auf, stellt die Akteure im Liberalisierungskarusell vor und deckt deren Pläne und Netzwerke auf. Ein Buch für alle, die Veränderungen im Gesundheitswesen mit Unbehagen verfolgen, denen aber die Zusammenhänge und Hintergründe bisher verborgen geblieben sind.

P/OeG Newsletter Januar 2007

1. Bericht PRESOM
2. Freiburg Bürgerentscheid gegen Privatisierung
3. WSF Nairobi-Berichte (p/ög, U.Brand, P.Wahl)
4. zwei Fragen aus der Newsletter-Redaktion
5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen

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1. PRESOM Athens Workshop
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„Privatisation and the European Social Model
(26/27 January 2007)“

Das von der Europäischen Union im 6. Rahmenprogramm geförderte
Forschungsprojekt PRESOM (Privatisierung und das Europäische
Sozialmodell) hat mit einer Tagung in Athen sein zweites Programmjahr
gestartet. Gastgeber war die Nicos Poulantzas Gesellschaft in Athen.
Ziel des PRESOM Projektes ist es, eine wissenschaftlich gesicherten
Einschätzung der Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung
auf das Europäische Sozialmodell zu erarbeiten.

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen
Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der
Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid,
einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele
und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer
von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in
seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der
Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen
keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden
führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die
Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen
Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von
privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph
Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche
Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum
Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der
Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften
gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere
die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem
als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen
auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des
Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren.
Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die
ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das
Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach
Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein
west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly
Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen
Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und
osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in
Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht
schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten
gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte
sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung.
Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der
Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die
europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich
entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse
einzubringen.

Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht
diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1:
Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in
der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte
des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die
Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei
Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste
(Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel
sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU
in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse
sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen
(unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April
in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere
PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien)
stattfinden.
http://www.presom.eu/

2. Freiburg: Erfolg gegen Privatisierung durch Bürgerentscheid
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Friedrich Hecker (p/ög-Korrespondent – Freiburg) berichtet: In
Freiburg hat am Sonntag, 12. November 2006, ein Bürgerentscheid
erfolgreich den Verkauf der städtischen Wohnungen verhindert. 41.000
Menschen, d.h. 70,5% der Stimmen, sprachen sich gegen den Verkauf aus
und nur 29,5% dafür. Anfang April hatte der grüne Oberbürgermeister
angekündtigt, die Freiburger Wohnungen zwecks Haushaltssanierung zu
verkaufen. Mögliche Käufer: „Heuschrecken“ wie z.B. Fortress oder
Cerberus, denen es nicht um sozialen Wohnungsbau, sondern nur um
größtmögliche Profite geht. Eine schwarz-grüne Koalition beschloss dann
im Juli den Verkauf. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte schon die
Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“
(http://www.wohnen-ist-menschenrecht.de) genügend Unterschriften
zusammen, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Im Wahlkampf
versuchten die Grünen (von Hausbesetzern zu Hausbesitzern geworden) die
Menschen in Freiburg gegeneinander auszuspielen: Schulen z.B. könnten
nur saniert werden, wenn die Wohnungen verkauft würden. Doch die
Menschen ließen sich nicht davon beirren und im Wahlkampf engagierten
sich unzählige, die erstmals in ihrem Leben politisch aktiv waren. Die
Bürgeriniative wurde dabei von Mieterbeiräten, Gewerkschaften und
Stadtteilvereinen genauso wie von lokalen Oppositionsparteien wie SPD,
Die Linke.WASG und der Linken Liste unterstützt. 30 Jahre nach
erfolgreichen Verhinderung eines Atomkraftwerkneubaus in Wyhl haben die
Freiburger erneut gezeigt, daß die Bevölkerung Politik gegen die
Herrschenden durchsetzen kann.

3. WSF Nairobi-Berichte
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Die rls-Veranstaltung zum p/ög-Themenkreis hieß „Die Kommodifizierung
von Wasser: Von sozialer Krise zum Widerstand“: Der gesellschaftliche
Umgang mit Wasser hat vielfältige Auswirkungen auf ärmere Haushalte.
Der Workshops beleuchtete Wasser als umkämpftes, öffentliches Gut aus
der Perspektive des Nordens und des Südens und widmete sich der Frage
wie Wasserversorgung reorganisiert wird um die Akzeptanz durch
neoliberale Konzepte sicherzustellen. Im Zentrum standen verschiedene
Strategien des Widerstands von Aktivitäten gegen die Einführung von
Vorrauszahlungen bis hin zur Infragestellung der Rekommunalisierung des
Wasserverbrauchs.
Mehr zur rls auf dem WSF:
http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9929&tx_ttnews[tt_news]=703

***

Ulrich Brand berichtete in der Frankfurter Rundschau am 27.1.07:

„Die Netzwerke für eine andere Welt werden dichter“
Das Weltsozialforum 2007 in Nairobi war ein weiterer Schritt zum Aufbau
einer kritischen globalen Zivilgesellschaft. Es wurden Kampagnen für
mehr Gerechtigkeit und Demokratie verabredet.

Die New York Times schrieb vor einigen Jahren, dass sich neben den USA
eine zweite Supermacht herausbilde, nämlich eine globale
emanzipatorische Zivilgesellschaft, deren deutlichster Ausdruck das
jährliche Weltsozialforum sei. Auch wenn diese Einschätzung übertrieben
ist, zeigt sie doch: Die Legitimationskrise des herrschenden
Wirtschaftsmodells ist nicht nur auf dessen für viele Menschen
desaströse Folgen zurückzuführen, sondern auch auf den Protest von
immer mehr Menschen.
Das Weltsozialforum ist ein legitimer Gegenpol zum alljährlich
zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Es ist ein
großer Erfolg, dass das WSF nunmehr zum siebten Mal stattgefunden hat
und zum ersten Mal als Gesamtforum in Afrika. Angesichts der
katastrophalen Lebensumstände vieler Menschen war die Stimmung wütender
als zuvor. Mehr als 10 000 Teilnehmende folgten dem Aufruf, am letzten
Tag 14 Kilometer durch verschiedene Slums zu gehen – für die meisten
ein schockierendes Erlebnis.
Im Zentrum vieler Veranstaltungen stand die Europäische Union und ihre
neoliberalen und militaristischen Weltordnungspolitiken. Die derzeit
verhandelten Economic Partnership Agreements zwischen der EU und vielen
afrikanischen Staaten wurden scharf als neokoloniale Politiken
kritisiert und es wird große Kampagnen von Attac und anderen dagegen
geben. Auch in vielen anderen Bereichen wurden globale Aktionstage und
Kampagnen verabredet.
Eine Diskussion bleibt zentral für die altermondialistischen (für eine
andere Welt eintretenden, Red.) Bewegungen sowie für die praktische
Gestaltung einer anderen Globalisierung. Nämlich über Protest hinaus
Alternativen zu organisieren. Insoweit wären die Bewegungen nicht nur
für die „Aufräumarbeiten“ von neoliberaler und imperialer Zerstörung
zuständig.
Eine Frage wurde häufig gestellt: Soll das Weltsozialforum ein offener
Raum bleiben, in dem sich unterschiedliche Akteure von
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kirchen und karitativen NGOs über linke
Gewerkschaften bis hin zu radikalen Basisgruppen treffen? Hier werden
Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, Netzwerke geknüpft, Kampagnen
geplant, sich in den je spezifischen Auseinandersetzungen gestärkt.
Insbesondere feministische Gruppen haben über das WSF ihre
transnationalen Netzwerke gestärkt.
Im Vergleich zu früheren WSF gab es in Nairobi wesentlich mehr
Strategietreffen. Da man sich dort häufiger sieht, entstehen jene
Vertrauensverhältnisse, ohne die transnationales demokratisches Handeln
nicht möglich ist.
Ein weitergehender Vorschlag lautet, einen kollektiven Akteur zu
konstituieren, der global agiert. Der senegalesische Wissenschaftler
Samir Amin schlägt die Schaffung einer Fünften Internationale vor. Ein
„neues historisches Subjekt“ sei notwendig. Dies wird scharf
kritisiert: Es sei ein Vorschlag von Intellektuellen, die angeblich
wissen, wo es langgeht. Die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts
stehe in der Tradition der autoritären Linken.
Und dennoch trifft die Frage nach einem kollektiven Akteur ein
zentrales Problem: Wie können angesichts der Globalisierung, die
derzeit die ohnehin Stärkeren noch mehr stärkt, Eingriffe in
(welt-)gesellschaftliche Machtverhältnisse gelingen? Gegen Kriege um Öl
und „gegen den Terrorismus“, gegen die enorme Macht des Kapitals, gegen
die wirtschaftlich und ökologisch desaströsen Wirkungen des Weltmarkts,
für eine Stärkung von Demokratie und solidarischer Ökonomie?
Meine Einschätzung ist, dass Alternativen zunächst um konkrete
Konflikte herum organisiert werden. Beispielsweise haben die inzwischen
sehr gut organisierten globalen Bewegungen für Gesundheit, für
Menschenrechte, für Landreform und alternative Landwirtschaft oder für
menschenwürdiges Wohnen Erfahrungen zusammengetragen und daraus
Forderungen entwickelt, die nun in den verschiedenen Kontexten
umgesetzt werden sollen. Die Gewerkschaften unternehmen enorme
Anstrengungen internationaler Vernetzung. Viele internationale
Netzwerke wie jene gegen Wasserprivatisierung oder für das Recht auf
Wohnen haben in Nairobi afrikanische Partner gewonnen.
Entscheidend ist aber, ob und wie über diese konkreten Konflikte hinaus
es möglich wird, grundlegend in politische und ökonomische
Machtverhältnisse einzugreifen. „Eine andere Welt ist möglich!“ –
dieses Motto der altermondialistischen Bewegung verwirklicht sich durch
Bewegungen und Kampagnen, aber eben auch durch sich verändernde
Institutionen, vor allem des Staates und von Unternehmen, inklusive der
Verfügungsrechte über Eigentum.
Dann stellen sich aber weitere entscheidende Fragen: Wie können
emanzipatorische Errungenschaften gesellschaftlich abgesichert werden
und wie können Regeln eines (welt-)gesellschaftlichen Zusammenlebens
entstehen? Welche Rolle spielen hier der Staat, mit dem die meisten
Menschen heute schlechte Erfahrungen machen, und die internationale
Politik? Welchen Stellenwert haben progressive Parteien? Auf diese
Fragen entsteht heute durch Netzwerke und Kampagnen und in konkreten
Konflikten gegen die Macht von Staat und Unternehmen eine erste und
sehr dynamische Antwort.

***

Peter Wahl berichtet über „Licht und Schatten. Eine erste Bilanz des
Weltsozialforums in Nairobi“

Die Bilanz des Weltsozialforums in Nairobi fällt widersprüchlich aus.
Positiv war, dass das Forum in Afrika stattgefunden hat. Es war eine
Schwäche der früheren Sozialforen, dass die afrikanische
Zivilgesellschaft, ihre Themen und Probleme immer stark
unterrepräsentiert waren. Nairobi hat diese Lücke geschlossen. Das
Forum 2007 bot der afrikanischen Zivilgesellschaft die Gelegenheit,
sich als Teil der globalen Bewegung für Alternativen zu den
herrschenden Verhältnissen darzustellen und eine gemeinsame Identität
zu entwickeln. Viele neue Informationen, die Debatten und die
Vernetzung mit anderen haben sicher einen wertvollen Beitrag zu
Stärkung der afrikanischen Zivilgesellschaft leisten können.
Dies gilt zumindest für den anglophonen Teil des Kontinents. Denn auch
in Nairobi war die koloniale Teilung in einen anglophonen und
frankophonen Teil schmerzhaft spürbar. Die Beteiligung Westafrikas war
sehr gering. Damit reproduzierte sich mit umgekehrten Vorzeichen das,
was beim regionalen Forum 2006 in Bamako aufgetreten war.
Auch für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Industrieländern, die
zum ersten Mal nach Afrika kamen, brachte das Forum wichtige
Erkenntnisse. Was sie sonst nur aus abstrakten Satistiken über Armut
und Elend kannten, wurde greifbar und mit konkreter Erfahrung
aufgefüllt. Denn die Veranstaltungen, die Zeltstadt mit ihren
Infoständen, die vielen informellen Kontakte wurden von den
existentiellen Alltagsproblemen der afrikanischen Realität dominiert –
Hygiene, Wasser, Aids, Gewalt gegen Frauen, Korruption, Verschuldung,
Straßenkinder usw. Die Akteure, die diese Themen repräsentierten, waren
vorwiegend NGOs, darunter in besonders hohem Maße kirchliche Hilfswerke
sowie große, international operierende NGOs.

Verlust an Attraktivität und Ausstrahlungskraft
Über den positiven Aspekten sollten allerdings nicht die Defizite
dieses WSF übersehen werden. Das fängt mit der deutlich geringeren
Beteiligung an. Auch wenn man nicht brasilianische Verhältnisse zum
Maßstab machen will, wo in Porto Alegre übers Wochende einfach mal
100.000 Brasilianer auflaufen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass
selbst die Teilnahme aus den Industrieländern generell geringer war.
Das heißt: an den Reisekosten allein kann es nicht gelegen haben. Die
Attraktivität in die Bewegung hinein ist sichtlich zurückgegangen.
Auch die politische Ausstrahlung nach außen hat spürbar nachgelassen.
Die internationale Medienberichterstattung war geringer und mehr als
früher auch negativ. Das gilt auch für Deutschland. Damit ist eine der
wichtigsten Funktionen der Foren, nämlich weltweit als Gegenpol zum
Weltwirtschaftsforum in Davos wahrgenommen zu werden, deutlich
reduziert. Die poltische Botschaft, die sonst vom WSF in die Welt
gegangen war, ist schwächer geworden.
Dabei spielen sicher auch „natürliche“ Gründe mit hinein. Der Reiz des
Neuen ist nach sieben Jahren verflogen. Und wer seriös Politik macht,
kann nicht permanent das mediale Bedürfnis nach Spektakularität
bedienen. Aber dennoch ist ein Gutteil der gesunkenen Außenwirkung
hausgemacht.

Pluralität muss Produktivkraft werden
So hat die starke single issue-Orientierungauch eine Kehrseite: eine
qualifizierte Weiterentwicklung der Kritik an der Globalsierung als
systemisches Phänomen fand in Nairobi kaum statt. So wurden z.B. die
internationalen Finanzmärkte, die immerhin den Kern des neuen
Akkumulationsregimes (vulgo: Globalisierung) bilden, in gerade mal fünf
Veranstaltungen ausdrücklich thematisiert.
Auch hat sich der Verzicht auf Großveranstaltungen mit prominenten
Bewegungsintellektuellen nicht ausgezahlt. Abgesehen davon, dass es für
die Identitätsbildung einer so heterogenen Bewegung auch solcher
verbindender Elemente bedarf, ist damit ein Stück Außenwirkung verloren
gegangen.
Übrig bleibt dann nur die unverbundene Koexistenz einer Vielzahl von
single issues. Es geht dabei überhaupt nicht darum, die Pluralität und
Offenheit des Forums einzuschränken. Vielfalt ist aber nur dann eine
Stärke, wenn die unterschiedlichen Elemente in produktive Reibung
miteinander treten, wenn Verallgemeinerung, Synthese und gemeinsame
Lernprozesse möglich werden. Ein statisches Pluralismusverständnis
führt hingegen dazu, dass das Forum zumMarkt der Möglichkeitenzerfällt
– mit dem enstprechenden Risiko der Entpolitisierung.
Insofern ist das Format des WSF in Nairobi mitverantwortlich für den
Verlust an Attraktivität nach innen wie nach außen.
Einige Hilfswerke und NGOs haben diese Entwicklung befördert, weil sie
glauben, das sei „ideologiefrei“. Schützenhilfe bekommen sie dabei von
einigen Linken, die aus einem Affekt gegen „die Promis“, den sie für
basisdemokratisch halten, in die gleiche Richtung ziehen.
Hier sind Reformen notwendig. Es kommt darauf an, ein Format zu
entwickeln, das komplementär zu den single issuesVerallgemeinerung
ermöglicht, scheinbar Disparates und Konkretes bündelt und Pluralität
zu einer Produktivkraft werden lässt.

Das Gegenteil eines Fehlers ist meist wieder ein Fehler
Die Versammlung der Sozialen Bewegunghat ein explizit politisches
Selbstverständnis. Sie will – anders als das Gesamtforum – nicht nur
ein Raum sein, sondern einen transnationalen Akteur konstituieren und
Handlungsfähigkeit entwickeln. Sie ist der Kristallisationskern der
Linken innerhalb des Forums und möchte einen bewussten Gegenakzent zur
Mehrheit der NGOs bilden. Allerdings bestätigte die Versammlung in
Nairobi die alte Binsenweisheit, dass das Gegenteil eines Fehlers meist
wieder ein Fehler ist.
Zwar wurde eine Erklärung verabschiedet, in der nichts Falsches steht,
ansonsten bestand das Meeting aber hauptsächlich darin, dass Fäuste
geballt wurden, Amandla Ngawethu,Parolen vom Typus „Hoch die …Weg
mit…“gleich im Dutzend gerufen wurden und zum Teil sektiererische
Kritik am Forum im allgemeinen und „den NGOs“ im besonderen geübt
wurde. Das ist nicht die Alternative zur Entpolitisierungtendenz des
WSF.
Notwendig ist stattdessen, Räume für eine qualifizierte Kritik der
Globalsierung auf der Höhe der Zeit zu schaffen. Auch das wäre im
Format des Forums zukünftig zu berücksichtigen.

WSF und Staat
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen agieren außerhalb des
formellen politischen Systems. Sie versuchen an einem Problemfeld das
Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen, ohne
parlamentarische Vertretung oder Regierungsbeteiligung anzustreben.
Auch wenn es inhaltliche und politische Übereinstimmungen zwischen
Parteien und/oder Regierungen und zumindest Teilen der
Zivilgesellschaft geben kann, folgen beide Akteurstypen in Strukturen
und Dynamik einer unterschiedlichen Logik und spielen gesellschaftlich
verschiedene Rollen. Insofern ist es weise, wenn das WSF auch weiterhin
auf eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen achtet.
Das WSF 2007 zeigt aber auch, dass die Durchführung eines solchen
Großevents ohne die Unterstützung mindestens einer großen Kommune
äußerst schwierig ist. Bestimmte Schwächen in Nairobi, wie etwa das
Fehlen der angekündigten Übersetzung, sind nicht einfach ein
organisatorischer Mangel, sondern hochpolitisch. Eine globale Bewegung
muss ein Minimum an Kommunikationsgerechtigkeit garantieren. Wenn alles
in Englisch läuft, macht das nicht nur viele sprachlos, sondern
verfestigt auch noch die monokulturelle Hegemonie einer Sprache.
Solange staatliche Unterstützung für das WSF transparent ist und – wie
in Porto Alegre – nicht zu politischer Instrumentalisierung führt, kann
sie akzeptiert werden. Zumal gerade einige der einflussreichsten
Kritiker einer Kooperation mit dem Staat aus NGOs kommen, die selbst
über Staatsknete in der Größenordnung von sechststelligen
Millionenbeträgen zu verfügen pflegen. Insofern kam die Finanzierung
des WSF 2007 zwar nicht von der Kommune Nairobi oder dem Staat Kenia,
aber indirekt doch zu einem erklecklichen Teil aus staatlichen Budgets,
insbes. den Entwicklungs- und Außenministerien Skandinaviens,
Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands etc. oder aus staatlich
eingetriebener Kirchensteuern in den Industrieländern. Darüber sollte
man offen reden, statt mit zweierlei Maß messen.

Ein anderes WSF ist nötig
Das WSF war eine Erfolgsgeschichte. Aber: Wandel und Wechsel liebt, was
lebt. Damit die Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung findet, ist es an
der Zeit, dass das Projekt auf die Veränderungen der Rahmenbedingen
reagiert und sich erneuert.
Dazu gehört nicht nur das Format, sondern auch die Häufigkeit der
Treffen. Der Jahresturnus ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Es muss
Raum und Zeit sein, für dezentrale, regionale und lokale Foren. Auch
was den Austragungsort angeht, dürfen früher einmal gefasste Beschlüsse
in Frage gestellt werden. Warum sollte ein WSF nicht auch einmal in
Europa stattfinden können, solange dies nicht zur Dauereintrichtung
wird?
Nötig wären auch Strukturen, die mehr Kontinuität und Kommunikation
zwischen den großen Meetings ermöglichen. Und last but not least
braucht es mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen. Zwar werden
angesichts der vielen praktischen und finanziellen Probleme
internationaler sozialer Bewegung ideale Standards von repräsentativer
und partizipativer Demokratie immer deutlich unterboten werden, aber
etwas mehr an Transparenz, Partizipation und damit Demokratie als
gegenwärtig ist durchaus möglich.

4. zwei Fragen: Venezuela und Irak
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* Wie läuft die De-Privatisierung der Telekomunikation in Venezuela?
Und vor allem warum läuft sie und wohin läuft sie? Ist das Ziel
Kommunikation für alle und zwar umsonst? Oder geht es um die
Rückeroberung der staatlichen Kontrolle über einen
sicherheitsrelevanten Bereich? Bedeutet die Verstaatlich vielleicht
sogar eine Militarisierung der venezolanischen Kommunikationsbranche?
(vgl. etwa http://www.nzz.ch/2007/01/08/al/newzzEWPEJBL5-12.html und
http://www.ftd.de/boersen_maerkte/geldanlage/150721.html)

* Was machen eigentlich die Ölquellen im Irak? Sprudeln sie einfach so
ruhig vor sich hin – jenseits von Besatzung und Bürgerkrieg? Oder hat
das doch irgendwie beides miteinander zu tun? Und wem gehören die
Quellen jetzt eigentlich – mal ganz formal gesehen? Und ganz praktisch?
Wer kassiert? Und was passiert mit den Petro-Dollars? wird ja wohl
mittlerweile in Dollar abgerechnet, oder? Sonst hätte der Einmarsch ja
gar nichts gebracht…
(vgl. Martina Doering: „Multis sichern sich Pfründe im Irak“ und Greg
Muttitt: „Überproportionaler Anteil am Gewinn“, beides Berliner Zeitung
vom 29.1.07, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/ )

5. Termine/Konferenzen/Ankündigungen
————————————

Globale Sozial Rechte vs. Neoliberalismus
Diskussionsreihe
1. Was verspricht sich die Linke von der Forderung nach „Globalen
Sozialen Rechten“?
7. 2. 2007, 19.00, Berlin, Haus der Demokratie
http://bewegungsdiskurs.de/html/programm_2007.html#eins

***

Die DHV (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften) in Speyer
hat ein Forum „Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von
Liberalisierungszwang und Demographie“ angekündigt (27. bis 28. März
2007).
http://www.dhv-speyer.de/Weiterbildung/wbdbdetail.asp?id=360

Diskussionsmaterial dazu von Brangsch (Politische Bildung, rls):
„Daseinsvorsorge und Liberalisierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit“
http://www.brangsch.de/partizipation/dasein1.htm

***

Im Mai 2007 startet die attacademie.2 mit überarbeitetem Kurskonzept.
Die attacademie ist ein Weiterbildungsprogramm für politisch Aktive aus
der globalisierungskritischen Bewegung mit zwei Schwerpunkten
(Reichtum/Eigentum und Globale soziale Rechte).
http://www.attac.de/attacademie/
Info-Flyer:
http://www.attac.de/attacademie/media/Ausschreibung-Attacademie2.pdf
Bewerbungsschluss ist der 15.04.07

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We like to invite all of you to support this project, to come to the
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With best regards
Dieter Klein: klein-at-rosalux.de
Rainer Rilling: rilling-at-rosalux.de
Sabine Nuss: nuss-at-rosalux.de
Ingo Stützle: istuetzle-at-so36.net
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Bericht: ESF Workshop "Health, drugs and research as a Public Good"

Der Workshop wurde veranstaltet von der rls in Kooperation mit PHM (People’s Heath Movement) und REDS (Red d‘ Europe pour la Defence de la Santé) und fand am XXX in XXX statt.

Referenten:
Thomas Seibert (medico international)
Christian Wagner (Buko Pharmakampagne)
Sofie Blancke (médecine pour le peuple, NGO, www.gvhv.be)
Amal Sabri, Directorin der Association for Health and Environmental Development (AHED) aus Ägypten (leitet momentan das Internationale Sekretariat des People’s Health Movement)
Kostas Diakos von den griechischen EcoloGreens

Thomas Seibert stellte die These auf, dass der Begriff der öffentlichen Gütern deshalb eine Konjunktur innerhalb der Linken habe, weil er die Orientierungsbegriffe „Sozialismus“ und „Kommunismus“ im Neoliberalismus abgelöst habe. Der Slogan „Eine andere Welt ist möglich“ würde in den Kämpfen gegen Privatisierung konkretisiert und beschreibe so die Politik gegen den Neoliberalismus. Dabei kommt dem Begriff der öffentlichen Güter die Funktion zu, eine positive Perspektive zu formulieren, die nicht allein in der Kritik der bestehenden Verhältnisse verhaften bleibe. Im Anschluss daran referierte Seibert Kennzeichen, die für ihn den Epochenbruch nach 1989 markieren und zugleich die Ausgangsbedingungen politischer Perspektiven abstecken. Neben dem Ende der Systemkonkurrenz nannte er die Internationalisierung der Arbeitsteilung und das Ende der fordistischen Massenproduktion. Diese Entwicklungen hätten die Basis des keynesianischen Sozialstaats untergraben. Deshalb müsse es vor allem darum gehen, eine Sozialpolitik durchzusetzen, die von der Lohnarbeit unabhängig ist. Dies würde die Möglichkeit bieten, die Ausschlussmechanismen des fordistischen Sozialstaats zu überwinden. Ziel müsse es sein, eine allgemeine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dieses öffentliche Gut könne nur im Rahmen einer sozialen Infrastruktur ermöglicht werden. Dies impliziere die Möglichkeit einer Radikalisierung dieser Forderung, weil sie notwendigerweise eine offene Bürgerschaft, ein bedingungsloses Grundeinkommen und globale öffentliche Güter mit sich bringt. Dies seien alles nicht unmittelbar Forderungen, die an den Staat gerichtet seien, sondern ein Rahmen, auf den sich alle sozialen Bewegungen verständigen müssen. Ausgehend von bereits geführten Kämpfen.
Christian Wagner bezeichnete seine Gruppe (Buko Pharmakampagne) als Wachhunde gegenüber der Pharmaindustrie. Aus der Perspektive der Gesundheitspolitik gehe es ihm vor allem um billige und gute Medikamente. Dabei sei vor allem der international organisierte Patentschutz (u.a. durch das TRIPS-Abkommen) ein Hindernis. Besonders für gefährliche Krankheiten. So koste aufgrund des Patentschutzes eine HIV-Kur 10.000 US-Dollar, während es in Indien mit Generika möglich sei, durch wirkungsgleiche Medikamente dieselbe Kur für nur 200 US-Dollar anzubieten. Aber auch für vernachlässigte Krankheiten, die im Trikont ca. 12 Prozent der Todesfälle ausmachen, werde aufgrund der am Profit ausgerichteten Forschung kaum Geld aufgewandt. Dabei würde sich jedoch zeigen, dass diejenigen Medikamente, die tatsächlichen einen Fortschritt für die Bekämpfung von Krankheiten darstellen würden, vor allem in öffentlichen Labors produziert werden. Ziel sollte es deshalb sein, über den Ausbau öffentlicher Labors bezahlbare Medikamente zu entwickeln, die sich am realen Bedarf (unabhängig von der Zahlungsfähigkeit) orientieren.
Sofie Blancke stellte einen ähnlichen Punkt heraus. In Neuseeland seien im Vergleich zum US-amerikanischen Markt patentierte Medikamente bis zu 53 Prozent billiger und nicht-patentierte bis zu 90 Prozent (sic!). Dabei würde zunehmend der Posten Marketing und Werbung unnötige Kosten verursachen. Die Produktionskosten seien inzwischen sehr gering. Etwa 15 von 20 Medikamenten würden in Puerto Rico hergestellt. Unter dem Slogan „A rational drug policy is possible“ warb Sofie Blancke für eine auf Nachfrage orientierte Medikamentenpolitik. Einer solchen sei es möglich, den Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie plädiert also für eine Liberalisierung des Medikamentenmarktes gegen die Vorherrschaft der Patente. In Belgien hätte ihr Netzwerk auch schon Apotheker gewinnen können, da diese unter dem unüberschaubaren Medikamentendschungel leiden würden.
Amal Sabri stellte die internationalen Abkommen TRIPS und TRIPS plus dar. Die internationale Kooperation ermögliche es mehr und mehr, dass öffentliche Güter dem Markt anheim fallen würden. Das würde nicht nur den Umfang der Güter, sondern auch der Länder umfassen. Damit würde sich in der Kontrolle des Medikamentenmarktes alles auf wenige so genannte transnationale Konzerne (TNCs) konzentrieren. Das würde das Saatgut ebenso betreffen wie traditionelles Wissen. Neben den beiden großen Abkommen würde es zunehmend auch unbekannte Abkommen zwischen entwickelten und nicht-entwickelten Ländern geben. Die Macht der TNCs und der entwickelten Ländern würden den Trikont nach und nach in ein Freihandelsnetz ziehen, das traditionelle Ökonomien gefährde und die Grundlage für billige und nützliche Medikamente unterminiere.
Kostas Diakos machte die Homöopathie als eine alternative Medizin von Unten stark.
In diesem am Freitag Vormittag ausgerichteten workshop, der in fünf Sprachen übersetzt wurde (I, E, F, Gr, D) nahmen ca. 70 Menschen teil, die zu einem großen Teil auch schon zuvor auf den Seminaren und Workshops der PHM-REDS-Schiene (People’s Heath Movement und Red d‘ Europe pour la Defence de la Santé) waren. Dadurch konnten auch Bezüge zu anderen, bereits angeschnittenen Themenbereichen hergestellt werden.

PRESOM Athens Workshop: Privatisation and the European Social Model (26/27 January 2007)

Zum Auftakt gab es eine Podiumsdiskussion mit griechischen Gewerkschaftsvertretern, auf der verschiedene Aspekte der Privatisierungspolitik in Europa erörtert wurden. Jürgen Huffschmid, einer der Koordinatoren des PRESOM Projektes stellte zunächst die Ziele und Fragestellungen der Projektes vor. Anschließend gab Malcolm Sawyer von der Business School der Universität in Leeds einen Einblick in seine Forschung zu den finanzpolitischen Auswirkungen der Privatisierungspolitik und argumentierte, dass die Privatisierungen keineswegs zu einer Entlastung der öffentlichen Haushaltsschulden führen. Im Gegenteil: gerade in langfristiger Perspektive wird die Sicherung öffentlicher Infrastrukturen und die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen für die öffentlichen Haushalte teurer, wenn sie von privaten Anbietern gekauft oder geleast werden müssen. Christoph Hermann von der Forschungs- und Beratungstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen (FORBA) in Wien stellte die ersten Überlegungen zum Europäischen Sozialmodell vor. Problem sei es dabei vor allem, dass der Begriff einer blackbox gleich von verschiedenen politischen Kräften gebraucht und mit jeweils eigenen Inhalten gefüllt werde. Insbesondere die Liberalisierungslobby in der EU gebrauchen den Begriff vor allem als Instrument um bisher bestehende nationalstaatliche Regelungen auszuhebeln. Die Linke habe es bisher verpasst, den Begriff des Europäischen Sozialmodells nach eigenen Vorstellungen zu definieren. Marica Frangakis, von der Nicos Poulantzas Gesellschaft stellte die ersten Ergebnisse der PRESOM Forschung vor und differenzierte das Privatisierungsgeschehen sowohl in zeitlichen Wellen als auch nach Ländergruppen. Insbesondere unterschied sie ein skandinavisches, ein west-, ein ost- und ein südeuropäisches Privatisierungsmuster. Karoly Lorant, ungarischer Abgeordneter des Europaparlaments, gab einen Überblick zum Privatisierungsgeschehen in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Anders als die Privatisierungsprozesse in Westeuropa erfolgte der Ausverkauf staatlicher Beteiligungen hier nicht schrittweise, sondern schockartig im Rahmen einer abrupten gesellschaftlichen Transformation. Die anschließende Diskussion rankte sich vor allem um die Gefahren und Perspektiven einer Europäisierung. Während einerseits vor allem auf die neoliberalen Impulse der Europäischen Union verwiesen wurden, plädierten andere dafür, die europäische Ebene stärker als politische Arena zu begreifen und sich entsprechend mit eigenen Vorstellungen in die Europäisierungsprozesse einzubringen.
Auf der eigentlichen PRESOM Tagung wurde der erste Jahresbericht diskutiert und die Ergebnise der ersten drei Arbeitsgruppen (WP 1: Hintergrund und Geschichte der Liberalisierung und Privatisierung in der EU; WP 2: Theoretische Ansätze zur Privatisierung; WP 3: Konzepte des Europäischen Sozialmodells) vorgestellt. Anschließend wurden die Arbeitspläne für 2007 abgestimmt. Im Vordergrund werden dabei Untersuchungen in den Sektoren Finanzen, Soziale Dienste (Gesundheitsversorgung und Rentensystem) sowie Bildung stehen. Parallel sollen die Privatisierungseffekte in den neuen Mitgliedstaaten der EU in Osteuropa systematisch untersucht werden. Erste Zwischenergebnisse sollen bereits in den nächsten Monaten auf verschiedenen Konferenzen (unter anderen auf der Alternativen EcoFin-Konferenz am 20./21. April in Berlin) zur Diskussion gestellt werden. Die nächste größere PRESOM-Tagung wird am 29./30. Juli in Ljubljana (Slowenien) stattfinden.

http://www.presom.eu/

Linksfraktion fordert Privatisierungsbericht

In dem Antrag heisst es:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den anderen deutschen Gebietskörperschaften einen Privatisierungsbericht über die Auswirkungen der Privatisierungen seit 1995 vorzulegen;

2. bis zur Vorlage und Diskussion des Privatisierungsberichtes keine weiteren Privatisierungsschritte zu unternehmen.

3. Der Privatisierungsbericht der Bundesregierung soll für die privatisierten Bereiche darstellen:

– die Privatisierungsschritte der öffentlichen Hand;

– die Ergebnisse aller Volksabstimmungen einschließlich Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die zu Fragen der Privatisierung durchgeführt wurden;

– die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen;

– die Auswirkungen auf politische Gestaltungsmöglichkeiten (Einfluss- möglichkeiten auf Geschäftsführung und Informationsrechte der öffentlichen Hand), Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Informationsrechte für Bürgerinnen und Bürger;

– die Entwicklung von sozialversicherungspflichtiger und sonstiger Beschäftigung, Arbeitsentgelten nach Lohngruppen, Managementgehältern und Ausbildungsplätzen;

– die Auswirkungen auf Wochenarbeitszeit, Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeit und Schichtarbeit;

– die Entwicklung von Preisen, Gebühren und Gewinnen;

– die Entwicklung von Qualität der Leistung, Verbrauchernähe und flächendeckender Versorgung und

– die Entwicklung der Investitionen.

Dem Bericht ist ein weiterer Privatisierungsbegriff zugrunde zu legen, der neben dem Verkauf von Beteiligungen und sonstigen Vermögenswerten auch die Ausgliederung öffentlichen Vermögens in privatrechtlich organisierte Unternehmungen und die Übertragung öffentlicher Aufgaben an private Unternehmen beinhaltet.
Die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen sollen umfassend untersucht werden. Den Privatisierungserlösen sind die Vermögensverluste und die zukünftigen Mehrausgaben und Einnahmeverluste gegenüberzustellen. Steuerminder- einnahmen durch internationale Transferierbarkeit von Gewinnen oder durch Steuervergünstigungen etwa bei öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships) sind zu berücksichtigen. Es soll auch berücksichtigt werden, inwieweit durch Personalabbau Steuereinnahmen und Sozialbeiträge sinken. Bei der Darstellung der Entwicklung von Beschäftigung und Ausbildung ist auf die Situation von Frauen speziell einzugehen. Es ist anzugeben, inwieweit die Verschuldungsgrenze des Artikel 115 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und der entsprechenden Bestimmungen in den Länderverfassungen nur aufgrund von Privatisierungserlösen eingehalten wurden.
Die Darstellung der Preisentwicklung in privatisierten Bereichen soll nach Geschäfts- und Privatkundensegment unterscheiden. Hierbei ist zu berücksichtigen, inwieweit die Preisentwicklung auf allgemeinen technischen Fortschritt zurückzuführen ist, der auch in öffentlich-rechtlichen Unternehmen realisiert werden kann. Als Maßstab hierfür sind internationale Vergleichsstudien heran- zuziehen. Auf die Entwicklung von Sozialtarifen ist einzugehen. Der Privatisierungsbericht soll damit deutlich über den Beteiligungsbericht des Bundes hinausgehen.

Begründung

In zahlreichen Bürger- und Volksentscheiden wurden Privatisierungen öffentlichen Eigentums abgelehnt, beispielsweise in Hamburg und in Mülheim/Ruhr. Einer Umfrage im Auftrage des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen- Thüringen zufolge sind 82 Prozent der Hessen gegen einen Verkauf von Sparkassen.
Aktuell geplante Privatisierungen sind sehr umstritten. Gegen den Plan der Regierung Baden-Württembergs, den größten Teil der historischen Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek zu verkaufen, und damit das Fürstenhaus Baden aus einer finanziellen Notlage zu retten, protestierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt und verhinderten den Verkauf bis auf weiteres.
Das Flugsicherungsgesetz, das den Verkauf von 74,9 Prozent der Anteile an der Deutschen Flugsicherung GmbH vorsieht, wurde vom Bundespräsidenten zunächst nicht unterschrieben, um verfassungsrechtliche Bedenken zu prüfen. Bestärkt wird die Kritik an der Privatisierung der Flugsicherung durch das Urteil des Landgerichts Konstanz zum Flugunglück von Überlingen, in dem die Bundesrepublik Deutschland haftbar gemacht wird, da sie ohne Staatsvertrag die Flugsicherung in deutschem Luftraum der privatrechtlich organisierten Schweizer Firma Skyguide übertragen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Sicherstellung des Flugverkehrs grundgesetzliche Aufgabe des Staates ist.
Umstritten ist auch der Börsengang der Deutsche Bahn AG. Kritiker befürchten einen Verkauf weit unter Wert, Personalabbau, großflächige Streckenstilllegungen, einen Rückgang der Investitionen und stark steigende Preise. Sie verweisen dabei auf die Bilanz der Bahnprivatisierung in Großbritannien.
Die Bundesregierung plant für 2007 laut Haushaltsentwurf Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen in Höhe von 9,2 Mrd. Euro. Angesichts umfangreicher geplanter Privatisierungen und ernstzunehmender Kritik ist es dringend erforderlich, eine Bilanz der Auswirkungen der bisherigen Privatisierungspolitik zu ziehen.
Privatisierungserlöse werden dazu verwendet, Einnahmeverluste an anderer Stelle auszugleichen. Laut Finanzplanung will der Bund bis 2009 so haushalten, dass die Verschuldungsgrenze nur dank Privatisierungserlöse eingehalten wird. Dies läuft dem Grundgedanken des Artikel 115 GG zuwider, die Vermögenssubstanz des Staates zu erhalten. Das Sachvermögen des Staates geht, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit Jahren kontinuierlich zurück. Privatisierungen führen neben den Vermögensverlusten auch zu nachhaltigen Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand. Vor weiteren Privatisierungsschritten müssen diese Auswirkungen dringend detailliert untersucht werden. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. nach den Einnahmeverlusten, die mit den Einmaleinnahmen im Haushaltsplan 2007 verbunden sind, antwortete die Bundesregierung: „Im Übrigen entfallen im Rahmen von Vermögensveräußerungen des Bundes generell künftige Vermögenserträge, deren Höhe – wie etwa bei Dividenden – gegenwärtig jedoch nicht prognostiziert werden kann.“ (Bundestagsdrucksache 16/2327) Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass die Bundesregierung eine bewusste Abwägung zwischen der kurzfristigen und langfristigen Haushaltswirkung bisher nicht vorgenommen hat. Der angemessene Umgang mit der Ungewissheit der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht der Verzicht auf Prognose, sondern die Anwendung wissenschaftlicher Prognosemethoden unter Kenntlichmachung von Prognoseunsicherheiten. Dies soll im Privatisierungsbericht geschehen.
Die Privatisierungen von Post und Telekom waren mit hohen Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverlusten verbunden. Allein die Telekom AG hat von ihrer Privatisierung bis 2005 mehr als 100 000 Stellen gestrichen. Bis 2008 sollen weitere 32 000 Stellen abgebaut werden. Vor weiteren Privatisierungen müssen die bisherigen Privatisierungsfolgen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewissenhaft untersucht werden.
Privatisierungsmaßnahmen wurden meist mit erwarteten Effizienzgewinnen begründet. Es stellt sich die Frage, inwieweit für die Verbraucherinnen und Verbraucher, nicht nur für Großkunden, die Versorgung mit günstigen und hoch- wertigen Leistungen durch Privatisierungen zugenommen hat. Versorgungsdichte und Bürgernähe haben etwa bei der Post abgenommen. Sozialtarife wurden bei privatisierten Unternehmen teilweise zurückgenommen. Bei der Feststellung von Effizienzgewinnen darf nicht stillschweigend angenommen werden, ein öffentliches Unternehmen würde heute noch mit der Technologie arbeiten, die zum Zeitpunkt der Privatisierung aktuell war.
Privatisierung und Liberalisierung von so genannten natürlichen Monopolen, also in Wirtschaftszweigen mit sinkenden Durchschnittskosten, und in netzgebundenen Wirtschaftszweigen haben, wie von fast allen Wirtschaftstheorien vorausgesagt, zu Monopolgewinnen geführt. Vor einer Untersuchung dieser Entwicklung darf die geplante Privatisierung von Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutsche Bahn AG und Flughafenbeteiligungen keinesfalls umgesetzt werden.
Auf der Ebene der Länder und Kommunen sind Privatisierungen eine Antwort auf Haushaltsnotlagen, die unter wesentlicher Beteiligung der Bundesregierung durch steuerpolitische Entscheidungen verursacht wurden. Da diese Entwicklung nur aus dem finanzpolitischen Zusammenhang zu beurteilen ist, muss der Privatisierungsbericht die Ebene des Bundes, der Länder und Gemeinden berücksichtigen.
Bereits 1998 forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Privatisierungsbericht von der Bundesregierung ein. Die Bundesregierung sollte dieser Aufforderung zügig nachkommen.

Steuerpolitik und Service Public – zwei aktuelle Publikationen von attacschweiz

Mit zwei aktuellen Büchern aus der Reihe ATTAC-Texte im Rotpunktverlag kümmert sich attac um Steuerpolitik und Öffentliche Dienste. Die soeben erschienene Publikation „Kassenkampf“ zeichnet die Geschichte der schweizerischen und internationalen Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte nach. Und dass mit „leeren Kassen“ kein Staat zu machen ist, zeigt das Buch „Service Public“ auf, welches letztes Jahr erschienen ist.

Bei Kampagnen gegen die zerstörerischen Praktiken der multinationalen Konzerne und internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen, sowie bei sozialpolitischen Auseinandersetzungen im Rahmen von Mobilisierungen gegen die Privatisierung öffentlicher Dienste und sozialer Sicherungssysteme trifft die Frage der öffentlichen Finanzen nach wie vor den Nerv sämtlicher Diskussionenum eine „mögliche andere Welt“. Politik, und insbesondere der Bedarf an Schulen, Krankenhäusern, öffentlichem Verkehr oder Sozialversicherungen im Norden wie im Süden, wird mit öffentlichen Mitteln finanziert.

Mit zwei aktuellen Büchern aus der Reihe ATTAC-Texte im Rotpunktverlag will attac schweiz diese Thematik einem breiten Publikum, insbesondere aber Mitarbeitern und Aktivistinnen aussozialen Organisationen näher bringen. Die soeben erschienene Publikation „Kassenkampf“ zeichnet die Geschichte der schweizerischen und internationalen Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte nach, erklärt am Beispiel der laufenden Unternehmenssteuerreform die Umverteilung der Steuerlast von den grossen Vermögen auf die weniger begüterte lohnarbeitende Mehrheit, weitet den Blick aus auf die internationalen Verflechtungen des Steuerparadieses Schweiz und widmet sich möglichen Vorschlägen, wie eine solidarische, demokratische und nachhaltige Steuerpolitik zu gestalten wäre.

Dass mit „leeren Kassen“ kein Staat zu machen ist, zeigt das Buch „Service Public“ auf, welches letztes Jahr erschienen ist. Die aktuellen Diskussionen um die Zukunft der Post, der Bahn und des Elektrizitätsnetzes sowie die ständigen Angriffe auf das Gesundheits- und Bildungswesen sind Anzeichen dafür, dass Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleitungen zu einem zentralen Pfeiler desneoliberalen Gesellschaftsmodells geworden sind. Die Publikation erläutert, wie diese Politik zunächst in den Ländern des Südensdurch Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisation (WTO) zwangsweise gegenüber den Nationalstaaten durchgesetzt wurden, zeigt deren verheerenden Folgenin konkreten Beispielen auf und versucht, allen um das Gemeinwohlbesorgten Menschen schlagkräftige Argumente für zukünftige Auseinandersetzungen rund um den Service Public zubieten.

Die beiden Publikationen bieten einewertvolle Unterstützung für die politische Bildungsarbeit insozialen Institutionen und Organisationen und können direkt beiattac schweiz zum Preis von je 15.-/9,50€ bezogen werden. Die Autorinnen und Autoren sind auf Anfrage auch gerne bereit, die Thesenund Argumente an Vereinsversammlungen oder Teamsitzungen eineminteressierten Publikum auch mündlich zu präsentieren. Siekönnen uns zu diesem Zweck direkt per Mail unter schweiz@attac.org kontaktieren.

HOCHWERTIGE OeFFENTLICHE DIENSTLEISTUNGEN FUeR ALLE!

Im November 2006 startete der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) eine Petition für öffentliche Dienstleistungen: http://www.petitionpublicservice.eu

Seit mehreren Jahren bereits verfolgt die Europäische Kommission eine Politik der Marktöffnung zur Förderung des Wettbewerbs und des freien Marktes. Nicht selten ging die Liberalisierung mit dem Ersatz einfacher Staatsmonopole durch große Gruppen privater Quasimonopole einher. Ferner führte die Liberalisierung zu einem Abbau des Zugangs zu und mitunter sogar zu einem Abbau der Qualität von öffentlichen Dienstleistungen, was den Verbrauchern keinerlei Nutzen brachte.

So verabschiedete die Kommission beispielsweise eine ganze Reihe von Maßnahmen zur schrittweisen Liberalisierung der Post. Und mit der Öffnung dieser Dienste für den freien Wettbewerb ab dem 1. Januar 2009, hat sie gerade einen weiteren Schritt zur vollständigen Liberalisierung unternommen, ohne sich um die Aufrechterhaltung eines für alle zugänglichen Universaldienstes zu bemühen.

Was unternimmt die Kommission zur Wahrung und Modernisierung öffentlicher Dienstleistungen? Sie verrennt sich in Zweifeln bezüglich Grünbüchern, Weißbüchern und Mitteilungen, versäumt es jedoch, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Der EGB unterbreitete einen Vorschlag über ein Moratorium für die Liberalisierung sowie über eine Rahmenrichtlinie über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Kommission lehnt jedoch jegliche Maßnahmen ab.

Das darf so nicht weitergehen! Die Kommission muss zum Schutz des öffentlichen Gutes handeln! Und aus diesem Grunde hat der EGB in Zusammenarbeit mit seinen angeschlossenen Mitgliedsorganisationen und anderen Partnern den Beschluss gefasst, Unterschriften von Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dem Ziel zusammenzutragen, die Kommission dazu zu drängen, einen Gesetzesrahmen zur Wahrung öffentlicher Dienstleistungen zu verabschieden.

Unterschreiben auch Sie die Petition für Hochwertige Öffentliche Dienstleistungen, für Alle
http://www.petitionpublicservice.eu

Freitag-Serie: Bildungsprivatisierung

Die Wochenzeitung „Freitag“ eröffnet eine Reihe, die sich mit Tendenzen beschäftigen wird, wie Bildung mehr und mehr den Charakter einer Ware annimmt. Die Beiträge werden einmal pro Monat erscheinen. Der erste Artikel erschien in der Ausgabe 28 am 7.7.06: Vom Menschenrecht zur Markenware von Clemens Knobloch
PRIVATISIERUNG DER BILDUNG
In Schulen und Universitäten regieren immer mehr die Gesetze des Marktes. Öffentliche Lernorte sind durch neoliberale Reformen und finanzielle Auszehrung bedroht
Die neoliberale Vermarktung der öffentlichen Bildungseinrichtungen hat in den letzten Jahren erheblich an Fahrt gewonnen. Je prekärer die beruflichen und ökonomischen Perspektiven breiter Schichten werden, desto besser lassen sich „Bildungsreformen“ verkaufen, scheint doch die „gute Ausbildung“ die beste und einzige Rückversicherung gegen die Wechselfälle eines harten globalen Arbeitsmarktes zu sein. Es ist freilich ironisch und paradox, dass ausgerechnet der traditionelle Bildungsaufstieg, der Berufschancen an öffentliche Bildungsdiplome bindet, als Motiv für Privatisierung und Entkopplung von Bildung und öffentlicher Hand herhalten muss. Denn am Ende dieser „Reformen“ wird Bildung kein öffentliches Gut mehr sein, über dessen politisch verantwortete Verteilung ein Stück Chancengleichheit hergestellt wird – sondern eine Markenware.
Beharrlich und Schritt für Schritt wird das öffentliche Bildungswesen in betriebswirtschaftliche Strukturen eingefädelt. Die Maßnahmen sind immer die gleichen, in reichen wie in armen Ländern: Freie Konkurrenz der Institutionen, freie Wahl der Bildungseinrichtungen durch die „Kunden“, freie Auswahl der „Kunden“ durch die Bildungseinrichtungen, Schulgeld und Studiengebühren oder Bildungsgutscheine, die an den Institutionen eingelöst oder in eine kostspieligere Ausbildung eingebracht werden können.

Bildung als Dienstleistung
Bei den Studiengebühren ist jetzt nach langer und vorsichtiger Annäherung die Schwelle überschritten. Das Publikum hat sich an den Gedanken Schritt für Schritt gewöhnen lassen. Die Stationen waren: Niemals – vielleicht – für Langzeitstudenten – für alle. Man darf davon ausgehen, dass jetzt auch die Beträge ins Purzeln geraten werden. Denn Obergrenzen sind natürlich staatlicher Dirigismus, wenn die Hochschulen einmal in die betriebswirtschaftliche „Autonomie“ entlassen sind. Symptomatisch ist das Verhältnis zwischen den noch öffentlichen und den schon privaten Hochschulen. Dass die Privatuniversität Witten/Herdecke ebenso wie die International University Bremen (IUB) pro Student weit mehr Geld aus dem Landeshaushalt erhalten als die öffentlichen Hochschulen, ist ebenso bekannt wie skandalös. Es ist auch ein Beleg dafür, dass Privatisierung öffentliche Politik ist und großzügigst aus Steuergeldern subventioniert wird. „Frei“ sind die Privaten in der Festsetzung ihrer Studiengebühren. Aber das ist noch nicht das Ende. Über die Liberalisierungen der Dienstleistungen in der EU (auch Bildung ist eine „Dienstleistung“) werden private Anbieter künftig darauf insistieren können, dass sie mit öffentlichen Anbietern gleichgestellt und letztere nicht konkurrenzverzerrend subventioniert werden. In der Folge wird der Druck wachsen, öffentliche Bildungseinrichtungen zu privatisieren oder die privaten den öffentlichen materiell gleichzustellen. Für die privaten Anbieter ist das eine win-win-Situation, für die öffentliche Bildung das Gegenteil.
Die staatliche Universität wird ausgehungert, das eingesparte Steuergeld macht die Privaten fetter. Und, merkwürdig genug, es schadet dem Ansehen der Marke Uni Witten/Herdecke gar nicht, wenn die fachliche Begutachtung (wie jüngst geschehen) es nahe legt, die Medizinausbildung zu schließen, weil sie den modernen Ansprüchen nicht genügt. Für eine öffentliche Universität wäre das ein Skandal ersten Ranges. Die Bezeichnung „Privatuniversität“ transportiert aber schon per se den Nimbus der Elite, gleich wie die Ausbildung dort tatsächlich aussieht. Es gibt viele Indizien, die anzeigen, dass bei den privaten Anbietern vor allem eine hoch entwickelte Fassadenkunst vorherrscht. Sie haben es eben gelernt, eine Marke zu bewerben. Eine private Medienhochschule in Hamburg verspricht ihren Studierenden (Jahresgebühr: 15.000 Euro) ganz dreist, dass man sie mit den Mächtigen und Einflussreichen der Branche zusammenbringen wird.
Parallel dazu werden die Bildungseinrichtungen betriebswirtschaftlichen Controlling-Prozeduren auf allen Ebenen unterworfen. Das geht so weit, dass zum Beispiel für Studiengänge festgelegt wird, dass sie geschlossen werden müssen, wenn sie eine bestimmte Studentenzahl unterschreiten. Das Regime der Kennzahlen ist sachzwangförmig und muss nicht politisch durchgesetzt werden. Kein Land hat bisher den Mut gehabt, eine Universität zu schließen. Warum auch, wenn man Bildungseinrichtungen viel eleganter in die Pleite entlassen kann?
Für diese Politik gibt es einen Auftrag. Aber nicht vom Wähler, sondern von der Firma Bertelsmann, die sich mit Hilfe williger Politiker den hoch expansiven und profitträchtigen Bildungsmarkt schafft, den sie einmal zu beliefern hofft.
Dass die Bertelsmann-Stiftung die vakante Position eines Bundesbildungsministeriums (manche sprechen sogar von einem „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“) zunehmend selbstbewusst besetzt, ist inzwischen nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis, sondern ein Gemeinplatz. Wo Schulen, Hochschulen oder öffentliche Verwaltungen neoliberal umgebaut werden, braucht man nach der Bertelsmann-Stiftung nicht lange zu suchen. Dabei wirken die gewählten Akteure der Politik nicht einmal als Verführte oder Getriebene. Der Beobachter hat vielmehr den Eindruck von Lemmingen mit ausgeprägtem Todestrieb. Die Gewählten scheinen froh und glücklich, dass sie mit der Verantwortung für den Sozial- und Umverteilungsstaat gleich auch noch die Verantwortung für das öffentliche Bildungswesen loswerden. Schließlich haben sie ja den ganzen PISA-Ärger auszubaden. Dass sie damit auch die Quellen für die Legitimierung der eigenen Macht zum Versiegen bringen, scheint den wenigsten bewusst zu sein. Wir werden sehen, wie viel „Staat“ allein mit Armee und Polizei zu machen ist.
Ist es angesichts dieser Lage ein Wunder, dass die dienstbaren Geister des Hauses Bertelsmann nachgerade platzen vor Selbstbewusstsein und auch schon einmal die „Wir können auch anders“-Platte auflegen? Die Form der (gemeinnützigen und von der Steuer befreiten) Stiftung erlaubt es dem tragenden Konzern, seine langfristigen politischen und ökonomischen Interessen effizient zu vertreten, ohne dass er dabei überhaupt als interessierter Konzern auftreten muss.
Das stiftungseigene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) spielt virtuos auf allen Manualen der öffentlichen Meinungsbildung. Sein Lieblingskind, die Studiengebühren (in NRW neuerdings als „Studienbeiträge“ rhetorisch geschönt), hat das CHE kurz nach seiner Gründung der Hochschulrektorenkonferenz zur Adoption angeboten. Die griff bekanntlich zu und ließ sich auch weiterhin inspirieren von einer durch das CHE inszenierten Umfrage, wonach sogar die Studierenden mehrheitlich Studiengebühren befürworteten. Den chronisch unterfinanzierten Hochschulen wurde systematisch der Mund wässerig gemacht, sollten sie sich doch eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation errechnen können. So wurden in vielen Hochschulgremien die Studiengebühren schon verteilt, ehe sie noch erhoben wurden.
Noch erfolgreicher agiert die Bertelsmann Stiftung in der Schulpolitik. Interessant auch, dass der Arm des Medienriesen bis weit in die Gewerkschaften reicht und gerade auch in der Sozialdemokratie und bei den Grünen die Schulpolitik konzeptuell auf Vordermann bringt. Strategisch ist das wieder einmal erste Sahne. Gerade als „links“ und egalitär geltende Organisationen werden die Einführung von Schulgeld für die Sekundarstufe II (ebenfalls ein Lieblingskind der Bertelsmänner) glaubwürdig öffentlich vertreten können.
Vielfach flankiert wird Bertelsmann vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, der, nach dem Zweiten Weltkrieg als Stifterverband der Wirtschaft gegründet, heute fast das gesamte einschlägige Stiftungsvermögen der Privatwirtschaft als Lobbyorganisation verwaltet.

Rhetorik der Freiheit
Rhetorisch kommt der Markt immer als „Freiheit“. In NRW haben wir jetzt ein „Hochschulfreiheitsgesetz“, das die Universitäten (wie es in der vielfach bewährten Sprache heißt) noch leistungsfähiger und international wettbewerbsfähiger machen soll. „Freiheit“ zieht jetzt endlich auch in die Schulen des größten Bundeslandes ein. Durch die Auflösung der Schulbezirke können künftig Eltern auch die Grundschule ihrer Kinder frei wählen.
Die zweite Säule der neoliberalen Reformrhetorik verbindet Staat und Bürokratie mit der Verhinderung von „Öffnung“, „Wettbewerb“ und „notwendigen Reformen“. Kapitalisiert wird an dieser Front die wachsende öffentliche Unzufriedenheit mit den Zuständen im öffentlichen Bildungswesen. Dessen materieller und reputativer Ruin ist durchaus Teil der Strategie. Jeder Schulskandal von PISA bis Rütli ist Wasser auf die Mühlen der Privatisierer. Wer alles Mögliche für den Bildungsaufstieg seiner Kinder tun möchte, der wird bei jedem Bericht über katastrophale Zustände an öffentlichen Schulen bereit sein, ein Stück tiefer in die eigene Tasche zu greifen. Und das Motiv, den Kindern eine „gute Ausbildung“ mit auf den Lebensweg zu geben, kann man unbesorgt in jede rhetorische Kalkulation einsetzen.
Jeder, der im Schul- oder Hochschulwesen tätig ist, kann freilich bestätigen, dass mit der wachsenden Lautstärke des auf allen Kanälen gespielten Freiheitsliedes zugleich auch die Kontroll- und Regelungsdichte überproportional zunehmen. Mit der „Freiheit“ kommt an den Gymnasien (in NRW) auch das Zentralabitur, außerdem ein ganzes Netz zentraler Leistungsprüfungen, die an den Schulen durchgeführt und ausgewertet werden müssen. Mit der Auflösung der Staatlichen Prüfungsämter für das schulische Lehramt kommt eine detaillierte Regelung aller Prüfungen und Zwischenprüfungen, die von den Hochschulen nun „autonom“ veranstaltet werden müssen. Je „freier“ das Personal an den Bildungseinrichtungen, desto schamloser werden die geforderten Unterwerfungsriten. Die Fiktion autonomer Akteure wird inszeniert im Gewande von Zielvereinbarungen zwischen den Bildungseinrichtungen und ihren (natürlich stets im Rückzug befindlichen) öffentlichen Trägern. Dabei legt sich die Bildungseinrichtung auf Ziele fest, über deren Bewältigung sie nicht die geringste Kontrolle ausübt (Studentenzahlen, Erfolgsquoten, Drittmittel, Doktorandenzahlen). Der Träger verspricht finanzielle Einbußen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden.
Zur erfolgreichen rhetorischen Implementierung neoliberaler Bildungspolitik gehört die Allgegenwart des „Ranking“ und „Rating“. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wer an welchen Rangplatz gerät. Der erste muss strampeln, um seinen führenden Platz zu erhalten, und der letzte, um seinen Abstieg in die Regionalliga zu verhindern. Der Effekt ist immer der gleiche: die Zerstörung der gemeinsamen Interessen und die Befeuerung der Konkurrenz.

Kampf um beste Köpfe
Regelmäßig angestimmt wird auch das Lied von der Notwendigkeit effektiver Elitenbildung und Elitenförderung im Zeitalter der globalen Konkurrenz um „die besten Köpfe“, die natürlich verkümmern, wenn sie die Bildungseinrichtungen zusammen mit den viel zahlreicheren Holzköpfen besuchen müssen. Da nützt es wenig, daran zu erinnern, dass die anerkannt besten Bildungssysteme das gemeinsame Lernen prämieren. Da nützt es noch weniger, daran zu erinnern, was der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann gezeigt hat: dass die deutschen Macht-, Geld- und Verwaltungseliten ein nahezu geschlossenes System der Selbstrekrutierung bilden. Die Durchlässigkeit nach unten geht gegen Null. Wie öffentlich über Eliten gesprochen wird, zeigt nur an, ob diese Selbstrekrutierung für legitim gelten soll oder für einen politischen Skandal.
Wer die Folgen abschätzen will, welche die neoliberale Revolution im Bildungswesen hervorbringen wird, wenn sie nicht auf entschiedenen politischen Widerstand stößt, braucht nicht viel Phantasie. Für die breite Masse wird jedwede berufsqualifizierende Ausbildung schlecht und teuer. Trotz wachsender Kosten für die „Kunden“ wird die Massenbildung chronisch unterfinanziert bleiben, weil sich die gewinnträchtigen Komplexe aus (kleiner, aber feiner) Markenuniversität, betuchtem Publikum und reichen Forschungsgeldern an wenigen Stellen konzentrieren werden. An allen anderen Stellen wird der Mangel mehr oder weniger effektiv verwaltet werden.
Es wäre natürlich albern, wollte man dem öffentlichen Bildungswesen bescheinigen, dass es die beste aller möglichen Welten hervorbringen hilft und die Chancengleichheit garantiert. Und natürlich kann es auch gute Privatschulen (meinethalben sogar gute Privatuniversitäten) geben. Fatal an der neoliberalen Privatisierungspraxis ist aber in jedem Falle der Umstand, dass die Verteilung von Chancen stärker an den Geldbeutel gebunden und der öffentlichen politischen Zuständigkeit entzogen wird. Für Bildungspolitik wird es am Ende gar keinen Adressaten mehr geben, wenn der Bildungsmarkt einmal durchgesetzt ist.
Ein kommerzielles Bildungssystem ist immer ein undemokratisches Bildungssystem. Dass mit der überbordenden Freiheitsrhetorik die demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen restfrei entsorgt wird, dass die „Öffnung“ der Hochschule für die Gesellschaft faktisch ihre Auslieferung an das Kapital bedeutet, ist kein Zufall. Wo Ökonomie und Controlling regieren, ist jede Form von demokratischer Beteiligung ein schlechter Scherz. Von der verfassungsmäßigen Lehr- und Forschungsfreiheit bleibt dann nur, was der Hochschulrat befürwortet.

Privatisierung ist Gewalt (derzeit in Mexiko)

Die aktuellen Massenproteste in Mexiko (Feature bei Indymedia) stehen direkt im Zusammenhang mit staatlich-repressiv vorangetriebener Privatisierung/Liberalisierung/Kommerzialisierung. Die andauernden Auseinandersetzungen, bei denen die Regierungstruppen bereits Menschen getötet haben, begannen, als Blumenhändler eines lokalen Marktes für ein Global-Style-Einkaufszentrum vertrieben werden sollten. Dazu Sub. Marcos:

„Vor Jahren gab es hier, auf dem Platz der Drei Kulturen, ein Massaker, und damals behauptete die Regierung, die Armee sei angegriffen worden. Und es verging viel Zeit, bis jemand fragte, was die Sicherheitskräfte eigentlich auf einer studentischen Versammlung verloren hatten. Und jetzt kommen diese Medien, auch das Radio, nicht auf den Gedanken zu fragen, was denn die Sicherheitskräfte eigentlich in San Salvador Atenco taten. Diese Allianz zwischen PRD und PRI veranlasste nämlich die Räumung einiger Blumenverkäufer, da sie dem Präsidenten des Landkreises von Texcoco hässlich für das Stadtbild erschienen; weil er lieber ein Einkaufszentrum da hätte, ein Wal-Mart dort in Texcoco, und da stören ihn die kleinen Händler, und auch die PRD, die dort mit der PRI auf Landesebene und mit der PAN auf Bundesebene verbündet ist, wird nun diesen Tod mit verantworten müssen.“ (Zitatkontext)

Globale Landwirtschaft und die Macht kapitalistischer Agrarindustrie

Im Ak plediert Gregor Samsa für eine Wiederentdeckung des Themas globale Agrarpolitik durch die Linke: http://www.akweb.de/ak_s/ak502/16.htm
Die Konsequenzen agrarpolitischer Beschlüsse durch die WTO und anderer, gleichfalls auf Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung abzielender Vertragswerke betreffen unmittelbar Hunderte Millionen Menschen, womöglich mehr.