Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel über den privaten Betrieb von Maut-Straßen, Brücken und Flughäfen. Der Präsident der deutschen Bauindustrie hat erste Anzeichen dafür, daß es in der Branche wieder aufwärts geht.
DIE WELT: Zunächst einige Fragen an den Präsidenten des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie: Die Baunachfrage in Deutschland ist im August um acht Prozent gestiegen. Ist die Bau-Krise vorbei?
Hans-Peter Keitel: Vorbei ist sie wohl noch nicht. Aber wir haben jetzt endlich die Talsohle im Blick. Wie schnell es wieder aufwärts geht, vermag ich noch nicht zu sagen. Aber von heute auf morgen sicher nicht: Wir befinden uns, um im Bild zu bleiben, eher in einer Art Tiefebene als in einem Canyon, hinter dem es steil bergauf geht.
DIE WELT: An den Rahmenbedingungen hat sich doch auch unter dem neuen Verbandspräsidenten Keitel wenig geändert – woher kommt Ihr Optimismus?
Keitel: Der Optimismus stützt sich auf nachprüfbare Fakten. Wir sollten das nicht überbewerten, aber auch nicht ignorieren. Die Auftragszahlen steigen schon im vierten Monat in Folge, die Erwartungen der Firmen sind besser als seit vielen Jahren. Auch das Konjunkturgutachten der Wirtschaftsweisen sieht günstigere Perspektiven für den Bau – etwa weil wieder Aufträge der Wirtschaft kommen.
DIE WELT: Bedeutet das, der Arbeitsplatzverlust kann gestoppt werden?
Keitel: Das ist zu hoffen. Die Branche hat seit 1995 rund die Hälfte der Stellen verloren, damit hat der strukturelle Arbeitsplatzabbau nahezu seine Grenze erreicht. In diesem Jahr werden wir aber noch weitere 40 000 bis 50 000 Stellen verlieren, 2006 sind es hoffentlich deutlich weniger.
DIE WELT: Hat die Pleite von Walter Bau dem überbesetzten Markt Entlastung gebracht?
Keitel: Nein. Bei komplexen Projekten mag es jetzt statt fünf nur noch vier Angebote geben. Aber insgesamt hat sich – wie schon zuvor bei der Insolvenz von Philipp Holzmann – am Markt wenig verändert. Die Kapazitäten kehren unter anderer Führung größtenteils auf den Markt zurück. Für uns alle bedeutender ist die negative Auswirkung auf den Ruf der Branche.
DIE WELT: Nach vielen Jahren vergeblicher Bemühungen der Bauindustrie setzt sich jetzt wenigstens die private Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen, die Private Public Partnership (PPP), immer mehr durch.
Keitel: Der Durchbruch ist endlich geschafft. Die Kommunen, die Länder und der Bund verlieren die anfängliche Skepsis, je mehr Projekte umgesetzt werden. Das hilft der gesamten Branche, den Großen wie den Kleinen. Was jetzt bei Schulen oder Kindergärten funktioniert, muß angesichts der leeren Kassen aber auch für die Autobahnen geprüft werden: Ohne eine Privatisierung wird es nicht gehen.
DIE WELT: Was könnte das für Hochtief bedeuten?
Keitel: Wir managen solche Projekte seit Jahren im Ausland. Deshalb wissen wir, daß Privatisierung keine Sache der nächsten ein oder zwei Jahre ist, sondern die Beschreibung eines möglichen Endzustandes. Es ist aber nicht damit getan, daß der Autofahrer eine Vignette kauft und ein paar Baukonzerne eine dritte Spur an die Autobahn bauen oder die eine oder andere Lücke im Netz schließen. Es geht darum, das gesamte Verkehrssystem vollkommen neu zu ordnen und auch Verkehrsträger wie die Bahn einzubeziehen.
DIE WELT: Eine Art Vorbild sind für Hochtief die Flughafen-Privatisierungen, in die Sie sehr früh eingestiegen sind. Hat sich der Mut gelohnt?
Keitel: Auf jeden Fall. Wir waren Early Mover, jetzt sind wir einer der wenigen ganz großen privaten Flughafenbetreiber der Welt. Und während viele andere dieses Geschäft gerade erst entdecken, erreichen wir in diesem Jahr erstmals schwarze Zahlen – drei Jahre früher als geplant.
DIE WELT: Wie das?
Keitel: Alle unsere Flughäfen haben sich besser entwickelt als erwartet. Wir arbeiten mit einem schlanken Team und haben Einnahmequellen erschlossen, mit denen wir vor zehn Jahren nicht gerechnet haben: etwa Honorare aus der Beratung von Flughafen-Betreibern und Transaktionen.
DIE WELT: Mit Verlaub – nach außen wirkt die Geschäftspolitik etwas sprunghaft. Sie kaufen Flughafen-Anteile, dann verkaufen Sie wenige Monate später wieder Teile davon, ziehen den Großteil Ihres Kapitals ab und kündigen weitere Übernahmen an…
Keitel: Das mag für Außenstehende so wirken, hängt aber mit der Geschichte zusammen. Als wir vor mehr als zehn Jahren begannen, gab es dieses Geschäftsfeld praktisch noch gar nicht – und auch keine Banken, die dafür Geld in großem Umfang geben wollten. Also mußten wir mit eigenen Mitteln die Investitionen stemmen. So sind wir bei Athen, Düsseldorf und Hamburg eingestiegen. In Sydney kamen wir schon mit geringeren Eigenmitteln aus und konnten einen Teil nach kurzer Zeit zu einem sehr lukrativen Preis weiterverkaufen. Inzwischen haben Finanzinvestoren die Chancen des Marktes erkannt. Jetzt ist es deutlich leichter, an günstiges Fremdkapital heranzukommen. Also haben wir in diesem Frühjahr Anteile in eine Partnerschaft mit Investoren eingebracht. Dabei managen wir die Flughäfen gegen Gebühr weiterhin, können aber das zurückgewonnene Eigenkapital auch in anderen Konzernsparten nutzen, etwa PPP und Facility Management. An unserem Geschäftsmodell ändert das gar nichts, nur an der Finanzierung.
DIE WELT: Terroranschläge oder Krankheiten sorgen immer wieder für Rückschläge in der Reisebranche. Holen Sie sich nicht zusätzliches Risiko ins Haus?
Keitel: Die Erfahrung der vergangenen 20 Jahre zeigt, daß sich die Passagierzahlen nach jedem Einbruch durch solche Ereignisse immer schnell wieder erholen und letztlich über dem Ausgangspunkt liegen. Davon profitieren wir als Flughafenbetreiber. Zudem haben unsere Airports einen hohen Anteil an Business-Passagieren, die gegen diese Schwankungen unempfindlicher sind als das reine Touristen-Geschäft.
DIE WELT: Ihr letzter Deal war der „Mutter Teresa“-Airport in Tirana. Was ist daran spannend?
Keitel: Zum einen das hohe Wachstumspotential. Zum anderen: In Tirana verdienen wir seit dem ersten Tag Geld. Das ist uns wichtiger als eine kleine Beteiligung an einem bekannten Flughafen, die nichts bringt.
DIE WELT: Sie wollen pro Jahr eine oder zwei Beteiligungen zukaufen. Ist Budapest die nächste?
Keitel: Da sind wir einer von fünf Bietern. Budapest ist der erste große Airport in Mitteleuropa, der zur Privatisierung ansteht. Derzeit fliegen dort sechs Millionen Passagiere pro Jahr ab, Tendenz stark steigend. Das ist sehr interessant. Jedenfalls dann, wenn die Ausschreibungs-Bedingungen so bleiben, wie sie sind.
DIE WELT: Anders als im indischen Mumbai, wo Sie kurz vor Schluß ausgestiegen sind?
Keitel: Da hat der Verkäufer plötzlich die Bedingungen geändert. Die Risiken sollen größtenteils auf die Erwerber abgewälzt, die Erträge aber vorher abgeschöpft werden. Das ist unseriös und von daher für uns uninteressant.
DIE WELT: Welche Airports haben Sie noch auf Ihrer Liste?
Keitel: Asien insgesamt, Indien, die Philippinen oder Thailand sind sehr interessante Regionen. Der Nahe Osten ebenfalls – dort fehlt es nicht an Geld zur Finanzierung, sondern an Know-how. Rußland beobachten wir ebenfalls.
DIE WELT: Und in Deutschland – etwa in München, wo mittelfristig ja eine Privatisierung denkbar ist?
Keitel: Schwierig. Ein Investor müßte wohl einen üppigen Schuldendienst übernehmen.DIE WELT: Haben Sie das Thema Berlin endgültig abgehakt?
Keitel: Jeder weiß, daß der aktuelle Zustand in Berlin auf Dauer nicht zu halten ist. Ich sage ganz deutlich: Wir sind nach dem geplatzten Privatisierungsverfahren nicht im Bösen auseinandergegangen, das Tischtuch ist nicht zerschnitten.
DIE WELT: Wenn es eine neue Privatisierung geben sollte, werden Sie sich wieder bewerben?
Keitel: Die Frage ist hypothetisch – ausschließen würde ich es nicht. Übrigens nicht nur bei einer Privatisierung: Wenn Schönefeld als öffentliches Bauprojekt ausgeschrieben wird, würde Hochtief ein Angebot abgeben. Wir sind ja schließlich auch noch ein Bau- unternehmen.
DIE WELT: Und zwar eines, bei dem es vor einigen Wochen Gerüchte über eine geplante Übernahme gab. Ist Ihre neue Aktionärsstruktur mit mehr als 70 Prozent Streubesitz, auf die Sie so stolz sind, nicht gefährlich?
Keitel: Wir haben nach dem Rückzug von RWE als Mehrheitsaktionär einen sehr gesunden Eigentümer-Mix. Ohne Zweifel sind auch eher kurzfristig orientierte Anleger dabei wie Hedge-Fonds. Aber bestimmend sind die Aktionäre mit langfristigen Interessen – und die kaufen eher zu, als daß sie Hochtief-Aktien abgeben. Sie wissen, daß ein Baukonzern keine Maschine ist, die jeder an- und abstellen kann. Hochtief besteht nicht aus Produktionsstätten, sondern aus Menschen, Baustellen und auch Garantien, die wir unseren Kunden gegeben haben. Ein solches Gebilde eignet sich nicht für eine feindliche Übernahme.
DIE WELT: Aber Ihr Airport-Portfolio ist interessant…
Keitel: Unsere Flughafenbeteiligungen sind Partnerschaften mit der öffentlichen Hand und Regelungen im öffentlichen Interesse, kein Handelsobjekt. Nicht umsonst hat die Strukturierung unserer Airport-Partnerschaft für nur ein Drittel der Beteiligungen über ein Jahr gedauert.
DIE WELT: Noch einmal ins Ausland: Die Zahl der Naturkatastrophen nimmt zu – schafft das neue Risken für Ihre Baustellen in den USA oder in Asien?
Keitel: Selbstverständlich könnten Wirbelstürme oder Flutwellen zum Problem werden. Bisher allerdings wurden wir weitgehend verschont. Wir gehen das Thema seit neuestem sehr offensiv an, indem wir eine Arbeitsgemeinschaft Katastrophen-Prävention gebildet haben. Dort fassen wir in einer Art Fallschirmtruppe unsere Experten zusammen, die sich etwa mit Wind- oder Wasserthemen besonders gut auskennen. Diese Erfahrung und Kompetenz wollen wir im Bedarfsfall rasch einbringen können.
DIE WELT: Wird das ein neues Geschäftsfeld?
Keitel: Unser Ziel ist es, sehr schnell Konzepte zu entwickeln und den öffentlichen Stellen anzubieten. Damit ließe sich beispielsweise New Orleans besser vor Flutwellen schützen.
Das Gespräch führte Hagen Seidel
Die Welt 1. November 2005