Gehört mir meine Arbeitskraft?

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Diese Frage kommt auf, wenn ich mir die Veränderungen meiner Arbeitsbedingungen wie auch jene meiner Mitmenschen ansehe. Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagstagsfraktion DIE LINKE hat zu der Frage nach Stressbewältigung und warum es so schwierig ist, bei steigender Produktivität jedes*r Einzelnen in Lohnabhängigkeitsverhältnissen steckenden die Arbeitszeit zu verkürzen, die Löhne zu erhöhen und damit ein gesünderes Arbeitsleben zu ermöglichen, einen Kommentar verfasst:

Denn nicht die Produktivität zählt für die Unternehmen, sondern die Rentabilität. Profit geht vor Lebensglück. Und das macht das Arbeitsleben immer härter. („früher war ich müde, heute kaputt“ Michael Schlecht)

Michael Schlecht führt an, dass die Produktivität seit 1991 in der BRD steigt und es somit kein Problem wäre, die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zu verkürzen und vor allem die Arbeitsdichte zu senken. Alternativ und auch additiv wäre die Einführung der Anti-Stress-Verordnung, wie es von den Gewerkschaften und Die.LINKE gefordert wird, eine gute Maßnahme. Allerdings, schreibt M. Schlecht:

Die LINKE hat die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage nach den Gründen für die zunehmende psychische Belastung gefragt. Von Rendite und Profit und Deregulierung des Arbeitsmarkts ist in der Antwort keine Rede. Als Ursachen sieht die Bundesregierung dagegen die „Kommunikationstechnik“, „Informationsflut“, die „Beschleunigung von Fertigungsprozessen“, „Globalisierung“, „Strukturwandel, „Flexibilisierung“ und „Subjektivierung“ – also anonyme „Kräfte“ und Tendenzen, die keine Profiteure und keine Urheber mehr kennen.

Weitergehende Überlegungen, wie ich vor allem der „Subjektivierung“ der Ausbeutung meiner Arbeitskraft entgegen wirken, sind in dem Artikel „Arbeitszeit und indirekte Steuerung“ von Stephan Siemens und Eva Brockenheimer in der Zeitschrift Luxemburg 3/4 2013 nachzulesen. Im Umgang mit den sogenannten flachen Hierarchien mache ich mir diese zu eigen, solidarisiere mich mit meinen Kolleg*innen und werde mein eigener Boss.

Die indirekte Steuerung hat die unmittelbare Arbeitsanweisung durch die*den Arbeitgeber*in abgelöst. Den einzelnen Beschäftigten wird suggeriert, dass sie als Individuum und auch als Teil des gesamtes Teams für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich sind. Im Team muss nun überlegt werden, wie der Profit des Unternehmens, die Zielvorgabe, die scheinbar von Außen durch die Konkurrenz gesetzt ist, erarbeitet wird. Da aber für den Profit des Unternehmens gearbeitet wird, eignen sich die Beschäftigten die Unternehmenslogik an:

Beide Rollen treten aber wieder auseinander: ›Wir‹ gemeinsam als Team, als Business-Unit, als Profitcenter haben die Unternehmerfunktion inne, aber ›ich‹, ›du‹, ›er‹, ›sie‹, ›es‹ – dieselben ›wir‹, nur als Einzelne – müssen umsetzen, was ›wir gemeinsam‹ beschlossen haben. Diese ›Ich-Wir‹-Struktur bleibt unbewusst und treibt uns dazu an, länger zu arbeiten als tariflich erforderlich. Schließlich möchten wir das Team nicht hängen lassen, denn umgekehrt fordern auch wir von den anderen ihren Beitrag zum Teamerfolg. […]  Indirekte Steuerung setzt die Unbewusstheit der eigenen Fähigkeiten voraus, nur so lassen wir uns ›indirekt‹ steuern. Machen wir uns diese Fähigkeiten jedoch bewusst, können wir gemeinsam lernen, uns der Steuerung zu entziehen und die gesellschaftliche Produktion so zu organisieren, dass sie für uns Beschäftigte gut ist. Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Sinn der Arbeit in der Arbeit ist in diesem Sinne ein gesellschaftlicher Fortschritt, der durch die kapitalistischen Bedingungen jedoch stark beschränkt wird und mangels Bewusstheit als bloß negativ erscheint. (Zeitschift Luxemburg)

 

Die Autor*innen schlagen verschiedene konkrete Schritte aus dem Dilemma vor:

  • Die Aneignung der Unternehmerfunktion darf sich nicht zu unserem Nachteil erweisen.
  • In jeder konkreten Arbeitssituation sollten wir uns der Mechanismen der indirekten Steuerung bewusst sein.
  • Wir brauchen eine realistische Einschätzung der von uns benötigten Arbeitszeit für bestimmte Aufgaben, um besser verhandeln zu können, um dem Druck des Unternehmens zu widerstehen, um die Kontrolle über die reale Arbeitszeit zu haben.
  • Statt individuelle Lösungen zu suchen, sich mit den anderen Beschäftigen kollektivieren und solidarisieren.
  • Sich kollektiv für eine bessere Personaldecke einsetzen und gegebenfalls durchsetzen, dass Gewinnerwartungen nach unten korrigiert werden.
  • Als Gewerkschaftsmitglieder müssen wir uns für eine breite gesellschaftliche Debatte um Arbeitszeiten einsetzen.

Gelingt es durch eine solche gewerkschaftliche Organisation, sich mit der Verselbständigung der Teamprozesse auseinanderzusetzen und diese unter die eigene Kontrolle zu bringen, so verwandelt sich diese Form der Arbeitsorganisation dahin, die individuelle Arbeitskraft mit der gesamtgesellschaftlichen Arbeitskraft in der wirklichen Zusammenarbeit zu vermitteln. Perspektivisch entsteht die Fähigkeit, die Planung der gesellschaftlichen Produktion mit der individuellen Freiheit zu vereinen und damit ein Problem zu lösen, an dem der real existierende Sozialismus gescheitert ist. Diese Fähigkeit könnte uns ermöglichen, den Kapitalismus zu überwinden und an seine Stelle eine sozialistische Produktion auf Grundlage der freien, selbsttätigen Vermittlung der eigenen Arbeitstätigkeit mit der gesellschaftlichen Arbeitstätigkeit zu setzen. (Zeitschift Luxemburg)

 

 

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