Kampf um Grenzen :: Kampf um Daten

Am 17. Dezember stimmt der Innenausschuss des Europaparlaments über die Ausweitung des Europäischen Grenzüberwachungssystem EUROSUR ab. In Zukunft sollen Polizei und andere Strafverfolgungsbehörden auf die EURODAC-Datenbank zugreifen können, in der die Fingerabdrücke von AsylbewerberInnen gespeichert sind.

Der Polizeizugriff auf EURODAC ist ein schwerer Verstoß gegen europäisches Datenschutzrecht und leistet einer Stigmatisierung von Asylsuchenden als Kriminelle Vorschub,

so Ska Keller, Grünen-Abgeordnete im Europaparlament. Es handelt sich um

einen politischen Kuhhandel, der auf dem Rücken von besonders schutzbedürftigen Menschen ausgetragen wird. Asylsuchende werden mit dem Vorschlag der Kommission zu Kriminellen stigmatisiert. Da kann die Kommission noch sehr betonen, dass die Polizei nur unter strengen Auflagen auf die Daten zugreifen darf. Die Stoßrichtung bleibt die gleiche: Menschen, die in Europa Schutz vor Verfolgung suchen, werden unter den Generalverdacht gestellt, potentielle Straftäter zu sein.

Claudia Krieg und ich haben in der Arranca die informationstechnische Dimension der aktuellen Grenzpolitik hervorgehoben:

Auf europäischer Ebene wird die Verschärfung des Grenzregimes derzeit auf der Grundlage des Stockholmer Programms vorangetrieben, eines von der Europäischen Kommission im Dezember 2009 verabschiedeten Strategiepapiers für sämtliche EU-weiten sicherheitspolitischen Maßnahmen bis 2014. (…) Hinter dem Stockholmer Titel Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger verbirgt sich vor allem ein radikaler Kurs im Bereich der Datenerfassung, Datenzusammenführung, Datenverwaltung und Datenauswertung. Bei den EU-Bürokrat_innen läuft dies unter „Präventive Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung“ – womit die letzten Grenzen zwischen Migrations-, Sicherheitspolitik und Kriminalitätsbekämpfung aufgelöst werden. Gegen jegliche grundrechtlichen Einwände soll es nach dem „Prinzip der Verfügbarkeit“ möglich werden, sämtliche nationalen Datenbanken innerhalb der EU miteinander zu vernetzen. Unterschiedlichste Behörden in den EU-Mitgliedsstaaten sollen Informationen einspeisen und auf den so generierten Datenpool zugreifen können. Zur Bewältigung der zu erwartenden Datenmenge wird eine neue Verwaltungsbehörde geschaffen, die Europol und Frontex untersteht und mittels Vermittlungsbeamt_innen in den nationalen Behörden „interoperieren“ soll. Nicht zuletzt lässt eine eigene Software zur „Auswertung“ und „Synthese der strategischen Informationen“ ahnen, wo der Trend trotz Datenschutzrhetorik hingeht: Wenn dieses europäische Datenerfassungsmonster erst einmal losgelassen ist, wird kaum jemand es mehr an die Kette legen können!

Gerade die datentechnischen Maßnahmen zur weiteren Abschottung der Grenzen haben sich bislang weitgehend abseits der öffentlichen Wahrnehmung abgespielt. Denn während sich BundespolizistInnen, Militär und Frontex im Einsatz, gekenterte Flüchtlingsboote und MigrantInnen auf der Flucht medial gut ins Bild setzen lassen, ist die Berichterstattung über Datenbanken und Behördenkooperationen meist wenig spektakulär. Den Rest erledigt die orwellsche Sprache der EU-Bürokraten, wie das aktuelle Beispiel der EURODAC- Fingerabdruckdatenbank sehr schön (oder sollte man lieber sagen: tragisch) zeigt: Die massive Ausweitung der Datenerfassung wird zum europäischen Grundrechtsschutz umdekliniert und der Abbau interinstitutioneller Barrieren – sprich: die horizontale Gewaltenteilung als Instrument der Kontrolle EU-staatlicher Macht – dient nun der „Wahrung von Freiheit, Sicherheit und Recht“.

One Response to “Kampf um Grenzen :: Kampf um Daten”

Hinterlasse eine Antwort