Land Grabbing als Win-Win-Situation?

Auch wenn es nur in Anführungsstrichen steht – immerhin wird es noch Land Grabbing genannt. Land Grab ist das Schlagwort für die Explosion (trans)nationaler kommerzieller Landtransaktionen, die gegenwärtig um die Produktion und den Export von Lebensmitteln und Agrotreibstoffen kreisen. Ein Kommentar auf tagesschau.de (siehe http://www.tagesschau.de/ausland/landgrabbing100.html) versucht zwischen positiven und negativen Folgen der neuen Landnahme abzuwägen: Das als Agro-Imperialismus titulierte Phänomen führt zu großflächigen Vertreibungen und raubt zahlreichen Menschen ihre Lebensgrundlage. Gleichzeitig könnten die Menschen in den  Ländern des zumeist globalen Südens die Technik und die Kapitalinvestitionen in den Agrarsektor gut gebrauchen. Es müsse nur ein vernünftiges Regelwerk her.

Dieser sog. ‚Code of Conduct‘ wird schon länger diskutiert und von vielen betroffenen Akteuren abgewiesen. Die Idee hat nur insoweit einen gewissen Nutzen, als dass sie zumindest die Entwicklung von Kriterien erlaubt, mit denen individuelle Transaktionen bewertet werden können (Huggins 2011: 47). Dennoch ist der Gedanke, dass ein Code of Conduct die stark benachteiligenden Verträge verhindern kann, gefährlich naiv. Verschiedene Studien, die die potenziellen Vorteile der kommerziellen Landnahme hervorheben, haben einen implizit staatszentrierten Blick. Diese Perspektive betont potenzielle Einflüsse auf der staatlichen Ebene, wie Steigerungen im BIP, Zugang zu Devisenhandel, Technologietransfer u.ä. Dieser Zugang entwertet die lokale Ebene und verdeckt die Beziehungen zwischen den Regierungen und Bürger_innen. Regierungen verfolgen bevorzugt politische Strategien, die makroökonomische ‚Erfolge‘ mit sich bringen. Diese werden an orthodoxen ökonomischen Kriterien, wie z.B. einem beständigem Devisenhandel, gemessen. Gemessen werden sollten aber lokale Lebensmittelsicherheit, sozialer Frieden oder nachhaltige Lebensgrundlagen (ebd.).

Ursprünglich wurde der Begriff von Aktivist_innen (v.a. hervorzuheben ist die kritische Nichtregierungsorganisation GRAIN) in die Öffentlichkeit gebracht, die sich gegen diese neue Form der Landnahme gewandt haben. Diese Gruppen kritisieren die industrielle Lebensmittelproduktion als Ganzes und fordern einen grundlegenden Wandel des Ernährungssystems. Inzwischen erodiert jedoch die Bedeutung des Begriffs ‚Land Grab‘. International dominierende Institutionen haben ihn aufgegriffen, und deuten den globalen ‚Land Rush‘ zu einem fruchtbaren ‚win-win‘ Entwicklungsschema um (Borras/Franco 2010: 2). Was einmal negativ konnotiert als ‚Land Grab‘ bezeichnet wurde, wird nun zunehmend als ‚großflächige Landinvestition‘ betrachtet. Dieser konzeptuelle Umschwungs lässt sich auch in den Forderungen nach einem ‚Code of Conduct‘ sowie ‚Prinzipien für verantwortliches Landgrabbing‘ wieder finden. Dieser Wandel resultiert aus dem optimistischen Glauben, dass der gegenwärtige globale Ansturm auf Land eine günstige Gelegenheit für ländliche Entwicklung darstellen könnte (vgl. Borras/Franco 2010: 3).

Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass aus Landinvestitionen tatsächlich gleichermaßen vorteilhafte Situationen für alle beteiligten Parteien resultieren. Allenfalls ungleichmäßige Verbesserungen von ohnehin asymmetrischen Verhältnissen ließen sich schaffen. Damit einher ginge die Einsicht, dass im besten Falle nur kurzfristige Verbesserungen für von Landnahmen betroffene Bevölkerungsgruppen hergestellt werden können und nicht die strukturellen Ursachen der Problematik angegangen werden, wie die einer systemisch inhärenten globalen Kapitalausweitung. Den enteigneten Subsistenzbäuer_innen bleibt in der Regel nur die doppelt freie Lohnarbeit, im Zuge derer nicht nur langfristige Abhängigkeiten der lokalen Bevölkerung von globalen Finanzmarktprozessen zu enormen Verschlechterungen in den jeweiligen Lebensituationen führen.

Literatur:

Borras Jr., Saturnino, Franco, Jennifer. 2010. Towards a Broader View of the Politics of Global Land Grab: Rethinking Land Issues, Reframing Resistance. ICAS (Initiatives in Critical Agrarian Studies ) Working Paper Series No. 001, Amsterdam

http://www.smu.ca/academic/arts/ids/documents/Borras_FRanco_TNI.pdf  

Huggins, Chris. 2011. A historical perspective on the “Global Land Rush”. The International Land Coalition

http://www.landcoalition.org/sites/default/files/publication/898/WEB_HUGGINS_History_final_layout.pdf 

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